Lauschangriff 4/06

Klassik-Kolumne Angesichts seicht und dilettantisch aufgedonnerter Gedenkfestveranstaltungen wie der Mozart Show der ARD im Januar überkommt den Mozartfreund ein ...

Angesichts seicht und dilettantisch aufgedonnerter Gedenkfestveranstaltungen wie der Mozart Show der ARD im Januar überkommt den Mozartfreund ein gewisses Verlangen nach Exorzismus: Klarheit, Befreiung, Reinigung! Es bricht sozusagen stellvertretend aus für die Zumutungen an Kulturschrott, die seit langem in weiten Teilen auch der öffentlich finanzierten Medien über das Publikum hinweg walzen. Im Fall Mozart kommt enttäuschtes Verlangen hinzu nach dieser mozartspezifischen Schönheit, die sich nicht in der Eleganz äußerer Strukturen erschöpft, sondern sich öffnet auch den Spiegelungen der Seele, dem unklonbaren Erlebnis von Humanität und Wahrheit.

Vielleicht auch wollen die Macher solcher Shows nicht wahrhaben, dass - egal ob elaboriert oder einfach zubereitet - das Bedürfnis nach Menschlichkeit und Wahrheit bis auf weiteres offenbar unausrottbar ist. Es bleibt Kern und Substanz dessen, was eine, in diesem Fall positiv globalisierte, Menschheit am Weltgeschenk Mozart beglückt, ja was die Attraktivität, Popularität und jahrhundertlange Quotenführerschaft Mozarts erst begründet. Da kehrt der Inhalt des in den vergangenen Jahren zum Marketingbegriff abgestiegenen Wortes "Kult" zu ursprünglicher Kraft und Bedeutung zurück: Mozart ist Kult. Versucht man ihn synthetisch zu reproduzieren und zu cocacolisieren, verliert er Zauber und Wesen und schrumpft zu dem, was dann übrig bleibt: Das Produkt raffiniert dummer Berechnung. CDs wie Andrew Manzes Aufnahme dreier Violinkonzerte Mozarts wirken da lindernd und glücklich stärkend wie eine gute Medizin.

Lange war es bei Solokonzerten üblich, die Musik bis in engste Verzweigungen ihrer melodisch harmonischen Wendungen hinein üppig auszuleuchten, ihr noch auf kleinstem Raum ein imponierendes Maximum an Farbe und Kontur zu geben. Solisten wie Anne Sophie Mutter auf den lange Zeit Stil prägenden Aufnahmen der Mozart-Violinkonzerte unter Leitung Herbert von Karajans aus den siebziger Jahren setzen sich dynamisch mit jedem Ton vom Orchester ab, sie sind mit jeder Solisten-Note deutlich präsent. Darin mag man einen - letzten? - Abglanz des von Karajan für die Musikwelt ausgeprägten Führerprinzips erkennen. Für Geiger wie den Engländer Andrew Manze ergibt sich ein gleichsam "demokratisches", nämlich dialogisch aufeinander abgestimmtes Verhältnis zwischen Solisten und Tutti (Einzelnem und Gesellschaft) schon aus den Klangeigenschaften der Barockinstrumente, die sie benutzen.

Vor allem erschließt sich mit Wegfall des durchgehenden Zwangs zu mindestens forciertem Mezzoforte die reiche Welt leiser Töne: Der Blick wird frei ins überall - und gerade in den übersprungartigen Anfällen exaltierter Albernheit - von tiefer Melancholie grundierte Wesen Mozarts. Wenn etwa im Adagio des Konzerts D-Dur K. 218 (5/2´13´´) die Sologeige zum zweiten Teil des Themas überleitend anhebt, klingt es bei Manze, als melde sich da jemand zu Wort, dessen leise Rede vor lauter Schüchternheit durch ein unmerkliches Räuspern fast gebrochen wird. Das sind kostbar zarte Nuancen, in denen sich viel wiederfindet von den Schatten und Untiefen, aus denen heraus Mozart Anlauf nahm zu den bezaubernden Höhenflügen der langsamen Sätze dieser Konzerte. Ihr Treibstoff sind Emphase, Verzückung und Schauer, wie sie sich nur in einer lebensgeschichtlich taufrisch entstandenen Gefühlswelt ereignen. Ein Komponist minderer Qualität hätte sich mit der Fülle witziger Einfälle, die Mozart geradezu verfolgt zu haben scheinen, nur immer wieder selbst ein Bein gestellt. Mozart setzt kombinierend einen Fuß vor den anderen und findet jedem Witz seine Stelle. So etwa wenn er ganz unüblich mitten ins Rondeau des D-Dur Konzerts mit einem aus Ungarn stammenden Strassburger einen zweiten Tanz placiert (3/3´28´´), der überdies aufgrund der gezupften ostinaten Bassbegleitung, schon damals komisch altmodisch und "deplaciert" gewirkt haben muss.

Allein durch die neuartige Tongebung sind Andrew Manzes Mozart-Aufnahmen etwas beglückend Unerhörtes. Sie würden allerdings aus der Masse des Üblichen heraus ragen schon durch die Kadenzen, die der Engländer für alle Konzerte neu erfand. So etwas vermag nur einer, zu dessen virtuosen Fingern ein Kopf gehört, in dem Bildung, Witz und Klugheit Funken schlagen.

Mozart: Violinkonzerte K. 216, 218, 219; English Concert, Andrew Manze; Hamronia Mundi HMU 807385


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden