Lauschangriff 5/05

Musik-Kolumne Klischees lassen sich leider nicht vermeiden, weil sie eben so oft zutreffen. Anders gesagt: Es gibt tendenzielle Wahrheiten, die nerven. Eine ...

Klischees lassen sich leider nicht vermeiden, weil sie eben so oft zutreffen. Anders gesagt: Es gibt tendenzielle Wahrheiten, die nerven. Eine besonders irritierende und häufig angewandte Klischeevorstellung ist die Idee, dass Indie-Bands solange gut sind, bis sie eine Platte bei einem großen Konzern gemacht haben. Dann verlieren die Gruppen durch den "kommerziellen Ausverkauf" angeblich ihren Biss, ihre Bodenständigkeit und schließlich ihre Glaubwürdigkeit. Bei Rilo Kiley würde ich nicht so weit gehen. Das neue Album More Adventurous ist bestimmt nicht schlecht, es ist ganz gewiss keine "unehrliche" Platte, aber dennoch: die Indie-Frische fehlt in der Tat.

Die Band ist seit 1998 zusammen, More Adventurous ist drittes Album. Rilo Kiley kommt aus Los Angeles, wo es eine Pflicht ist, ehrgeizig und erfolgreich zu sein, wovon Rilo Kiley neuerdings womöglich beseelt sind. Bis vor kurzem war es jedenfalls fast ein Geheimnis, dass Rilo Kiley aus Kalifornien stammen. Die Band war nämlich beim Saddle Creek Label in Omaha, Nebraska unter Vertrag. Fast alle Gruppen bei diesem äußerst hippen Label, wie etwa Bright Eyes und The Good Life, kommen aus dem Bundesstaat Nebraska, sind also heimische Gewächse, wenn man so will. Deshalb konnte Rilo Kileys Mischung aus Country, Folk und Rock für amerikanische College-Kids so klingen, als ob sie aus einem Niemandsland wie Nebraska rühren würde. Einem Nirgendwo, von dem einige vielleicht gar nichts wüssten, wenn Bruce Springsteen nicht 1982 ein Album namens Nebraska veröffentlicht hätte.

2002 erschien das Rilo-Kiley-Album The Execution of all things. Es avancierte zum Klassiker in Lo-Fi Pop und Alt-Country. Das neue Album More Adventurous ist davon weit entfernt, wenn auch nicht misslungen. Aber es gibt doch Probleme. Rilo Kiley klingt nicht mehr wie eine richtige Band. Das Album hört sich an wie eine Soloplatte der Sängerin Jenny Lewis. Ihre Stimme ist herausragend - sie erinnert an die weniger spießige Version von Joan Baez -, und der Gesang dominiert überall. Jenny Lewis ist es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Als Kind hatte sie einige Auftritte als Schauspielerin.

Ihr Songwriterkollege Blake Sennett dagegen, der in der Vergangenheit für einige der besten Rilo-Kiley-Songs überhaupt verantwortlich war, glänzt nur mit einem Lo-Fi-Stück, Ripcord, das völlig deplatziert wirkt. Gerade aber wenn sich beim Hören die Enttäuschung breit machen will, gibt das Album plötzlich Anlass zu neuer Hoffnung. Bei den Country-Balladen I never und The Absence of God etwa. Die Songs sind im besten Nashville-Sinne pathetisch und rührend: Liebe, Tod, Gott und verführerische Frauen. Was will man mehr? Es kursieren Gerüchte, dass Sängerin Jenny Lewis bei Einsingen der beiden Songs sich im Studio nackt ausgezogen habe, um verwundbarer zu fühlen. Das ist die leidenschaftliche Herangehensweise, die Indie-Rock-Fans schätzen. Dann ist es auch egal, ob die Geschichte nun stimmt oder nicht. Es ist der Gedanke, der zählt.

Rock Bands dürfen auch auf schwerfällige Weise politisches Bewusstsein demonstrieren, Hauptsache, sie sagen etwas. Kritik an der eigenen Regierung ist sowieso willkommen, weil sich damit die Klischeevorstellung von amerikanischer Arroganz etwas korrigieren lässt. So vergleicht Rilo Kiley die Verantwortlichen im Weißen Haus in dem Stück It´s a Hit mit Affen, die mit ihrem eigenen Kot ihre Feinde beschmeißen. Der Song zeugt von wenig Poesie, aber Rilo Kiley bekennen eben Farbe. Ansonsten sind die Texte von Jenny Lewis weitaus fantasievoller. Ihre Themen bilden Frauen, die verheirate Männer lieben, vergangene Lieben, an die man sich nach einer Beerdigung erinnert, Sexbesessenheit, Einsamkeit und Langeweile. Letzteres trifft auch die Konzerte von Rilo Kiley nicht zu. Im Gegenteil. Die Band verbreitet eine natürlich heitere Stimmung und bringt selbst mufflige Leute zum Lachen.

Wie erwartet, ist More Adventurous als erstes Album bei einer großen Plattenfirma eine Hochglanz-Produktion. Damit könnte man leben, wenn das Songwriting eindrucksvoller wäre. Viele Musiker reden vom "schwierigen dritten Album". Vielleicht ist diese Hürde das Problem von Rilo Kiley und nicht der Plattenvertrag, der man unterschrieben hat. Wäre aber auch ein Klischee.

Rilo Kiley: More Adventurous, Wb (Warner Music)


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