Lauschangriff 7/04

Kolumne Stefan Piendl liebt die klassische Musik. Das heißt, er versucht sie auch in der Dauerkrise, die die Tonträgerindustrie seit Jahren drückt, anders zu ...

Stefan Piendl liebt die klassische Musik. Das heißt, er versucht sie auch in der Dauerkrise, die die Tonträgerindustrie seit Jahren drückt, anders zu retten als die anderen. Zwar reagiert auch seine Firma, die Klassikabteilung der Bertelsmann Music Group (kurz: Bi-Emm-Dschi), wie alle Majorfirmen: Sie entlässt Leute, drückt die Produktionskosten. Die Umsätze der Tonträgerindustrie, an denen die Klassik einen homöopathischen Anteil von um die sieben Prozent hat, gingen trotzdem seit 2000 in jährlich jeweils zweistelligen Minusprozentzahlen absolut von fünf Milliarden auf andertalb Milliarden zurück.

Piendl bringt das nicht aus dem Konzept. "Auch in einem zurückgehenden Markt", sagt er, "kann man noch Geld verdienen." Er muss es wissen. Zunächst bei Sony Classical, danach als A der Klassikabteilung von EMI, und nun, immerhin, als internationaler Vizepräsident von BMG wohnt er der Selbstentleibung der Branchengroßen - sie behandeln die Klassik nach den Gesetzen der Börse - aus nächster Nähe bei. Obzwar keine AG, will man auch im Stammhaus in Gütersloh schwarze Zahlen sehen. "Aber bislang", beschwichtigt Piendl, "war der Druck und die monatliche Hysterie angesichts der aktuellen Umsatzzahlen bei uns nicht so groß."

Die Majors veröffentlichten nur mehr 20 bis 30 Prozent ihres Volumens der Boomzeit Mitte der neunziger Jahre. BMG hegt nichtsdestoweniger große Pläne. Mit Nikolaus Harnoncourt, dem prominentesten Schiffbrüchigen des Untergangs der Teldec, hat man einen Vertrag über zunächst 14 CDs abgeschlossen. Harnoncourts Deutungen von Bruckners Neunter oder Smetanas Ma Vlast (RCA/ BMG 82876543312) sind zwar nicht gerade das, worauf alle Klassikfreunde unbedingt gewartet haben. Mit Haydns Schöpfung, einer prachtvollen Neuproduktion (Concentus Musicus; dhm/BMG 82876583402) wiederholt Piendl überdies alte Majorsünden; es handelt sich dabei nämlich bereits um Harnoncourts zweite Aufnahme dieses nicht eben selten aufgenommenen Stücks - und vor kaum einem Jahr erschien bei BMG eine vom Harnoncourt-Schüler Thomas Hengelbrock dirigierte Aufnahme der Schöpfung, die frischer, origineller und kraftvoller auftrumpft als die Harnoncourt-Version (dhm/BMG 05472775372).

Dennoch. Anders als die anderen Majorchefs mit ihren, von immer den gleichen, komplett überraschungsfreien Promis präsentierten Standardhits, bemüht sich Piendl um Erlesenes und Ausgefallenes, dargeboten von neugierig findigen Künstlern - ganz wie die "Independents", die kleineren, von der Industrie unabhängigen Labels es zu tun pflegen. Für die Barockoper Endimione des Bachsohns Johann Christian - von ihm hat sich der sechsjährige Mozart in London abgelauscht, wie man warmherzige Melodien schreibt - bekam BMG im letzten Jahr einen Echo-Klassik-Preis (Capella Coloniensis, Bruno Weil; dhm/BMG 05472775252).

Bei Kosten von üblicherweise bis zu 400.000 Euro pro Oper haben sich die anderen Majors längst aus dem Opern- und Oratoriengeschäft verabschiedet. Allerdings mit Hilfe eines ehemaligen, von BMG einst aufgekauften Independent, der Deutschen Harmonia Mundi (dhm) macht Piendl es auch hier wie die Kleinen: Durch Verzicht auf teure Spitzenstars und Repräsentationsorchester und durch Kooperation mit Rundfunkanstalten hält BMG die Kosten im Bereich des Machbaren. So haben sich die beteiligten Sänger sowie die Barockinstrumentalisten der Capella Coloniensis auch bei der Aufnahme von Carl Maria von Webers frühem Singspiel (Bruno Weil; dhm/BMG 05471770702) und Glucks gänzlich unbekannter, aber durchaus nicht unhörenswerter "Festa teatrale" L´Innocenza giustificata gagenseitig offenbar kunstfreundlich zurückgehalten (Christopher Moulds; dhm/BMG 82876587962).

Um nichts als Rendite geht es, wenn BMG, wie geplant, Sony Music kauft. Durch den dabei anfallenden Aktientausch wird das Kulturverhängnis in Gestalt von Shareholder Value am Ende auch die BMG erreichen. "Dass die klassische Musik aus Sicht all derer, die sie lieben, kulturell notwendig ist, ist unbestritten", philosophiert Piendl. "In wieweit man sie aber geschäftlich unbedingt braucht als großes, internationales Unternehmen - darüber kann man in der Tat streiten." Ob man höheren Orts mit ihm streiten wird, wenn die Klassik endgültig nach den Maßstäben der Börse abgeurteilt würde, steht allerdings sehr dahin.


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