Lauschangriff 7/08

Lauschangriff Es ist das Einzige, was ich kann, es ist das Einzige, was ich habe." Der Satz ist bei mir hängen geblieben. Wenn man kaum Ausweichmöglichkeiten hat, ...

Es ist das Einzige, was ich kann, es ist das Einzige, was ich habe." Der Satz ist bei mir hängen geblieben. Wenn man kaum Ausweichmöglichkeiten hat, dann bleibt man eher am Ball. Es gibt kaum Künstler in Bob Moulds Alter, die immer noch so rau und sehnsüchtig klingen wie er. Das Interview mit Mould, aus dem der Satz stammt, fand 2005 statt. Nun ist sein siebtes Soloalbum District Line erschienen. Damit ist nicht die bekannte Londoner U-Bahn-Linie gemeint, sondern eine Strecke, die durch seine Wahlheimat Washington D.C. führt. Die Songs sind "Geschichten meines einfachen Lebens in einer komplizierten Stadt", sagt er.

Mould ist 47 Jahre alt und war in seiner Jugend für seine depressiven Tendenzen bekannt. Aber spätestens seit dem letzten Album Body Of Song ist seine musikalische Ausstrahlung positiv geworden. Er stellt, wenn auch unbeabsichtigt, die These auf den Kopf, dass man kraftvolle Lieder nur schreibt, wenn man unglücklich ist. Bob Mould hat in den letzten Jahren an Kraft gewonnen und seine Qualitäten beim Songwriting verbessert. Jeder Mensch braucht Erneuerung.

Zum ersten Mal "verabschiedete" sich Bob Mould vom Rock, nachdem er das Album The Last Dog Pony Show 1998 veröffentlicht hatte. Er klang ausgelaugt. Er outete sich kurz danach als schwul und frequentierte die Gay Clubs in Washington D.C., ließ sich von der Musik dort inspirieren und entdeckte eine Vorliebe für Elektronika, die er vorher nicht für möglich gehalten hatte. Daraus entstand das Blowoff-Projekt mit DJ Morel und das stark elektronisch-geprägte Solowerk Modulate (2002). Damit vergraulte er Fans, die nichts anderes als seine Powerchord-Gitarrenriffs erwarten wollten. Mould sagte mir damals: "Meine Fans sind nicht enttäuscht, sie haben bloß mit Verwirrung und Geduld reagiert". Ich halte es dennoch für möglich, dass er sich nie wieder ein vordergründig elektronisches Werk trauen wird.

Body of Song (2005) und das neue Album District Line agieren im gesunden Mittelfeld, elektronische Schichten und Loops sind überall eingebaut, aber es handelt sich bei den Stücken um Rocksongs mit kräftigem Gesang. Moulds Stimme bietet gewissermaßen eine Alternative-Rock-Version von Tom Jones: ein melodisches Vollblutbrüllen, das von Herzen kommt. Der Song Shelter ist ein reines Discostück und scheint aus den Modulate-Sessions zu stammen, bildet aber eine Ausnahme. Stupid Now ist klassisch selbstironischer, demütiger Bob Mould in Hochform, und Return To Dust wird Fans seiner alten Band Sugar sehr zufriedenstellen. Mit Sugar erreichte er einst den Gipfel seiner Popularität, ein Erfolg, der nicht so richtig wahrgenomen wird, weil die Pixies und Nirvana, die aus dem selben musikalischen Umfeld kamen, noch erfolgreicher waren. Beide hatten immer fröhlich erklärt, von Bob Moulds erster Band Hüsker Dü stark inspiriert worden zu sein. Dass Erfolg ungerecht verteilt wird, ist nichts Neues.

Auf District Line sind alle Phasen von Bob Moulds Karriere erkennbar, die CD wirkt wie ein Greatest-Hits-Album mit neuen Kompositionen. Ein Lied ist tatsächlich sehr alt, aber zum ersten Mal veröffentlicht worden, nämlich Walls In Time, das urspünglich für das Solodebüt Workbook von 1989 vorgesehen war. Mould hatte den Song damals nur weggelassen, weil das Lied viel Ähnlichkeit mit dem Titel Sinners And Their Repentance besaß. Er wollte sich nicht auf ein und derselben Platte wiederholen.

In Return To Dust heißt es: "Growing old, it´s hard to be an angry young man." Dass es schwer ist, beim Älterwerden ein wütender junger Mann zu bleiben, ist zwar eine banale, aber auch eine ehrliche Aussage, und vielleicht hat sie die Erkenntnis befeuert, dass der Zeitpunkt für eine Bob-Mould-Ballade gekommen ist: für den ungewöhnlichen, ruhigen Song Old Highs And New Lows. Mould ist noch gut im Rennen. Mit 47 Jahren als reif und leidenschaftlich angesehen zu werden, ist eine große Errungenschaft.

Bob Mould District Line. Beggars Banquet (Indigo)

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