Lauschangriff 8/03

Kolumne Es gehört zur Tragik berühmter Verstorbener, dass oft alles, was sie ein Leben lang erdacht und hinterlassen haben, im öffentlichen Bewusstsein auf ...

Es gehört zur Tragik berühmter Verstorbener, dass oft alles, was sie ein Leben lang erdacht und hinterlassen haben, im öffentlichen Bewusstsein auf ein, zwei, obendrein falsche oder weithin missverstandene Zitate zusammen schnurrt. So blieb von Lenin gerade mal dessen Lob der Kontrolle, von Marx das bewusste Opium sowie die Sache mit Sein und Bewusstsein und von Goethe, zumindest im Zusammenhang seines konservativ engen Musikverstands, blieb neben der Erkenntnis, Mozart wäre der einzig denkbare Komponist des Faust gewesen, die detto aufhebenswerte Bemerkung, er, Goethe, höre im Erleben eines Streichquartetts stets »vier vernünftige Leute sich miteinander unterhalten«.

Das Zitat hat es weit gebracht, bis ins 20. Jahrhundert und nach Connecticut, wo der Komponist Charles Ives (1874-1954) die ersten beiden Sätze seines zweiten Streichquartetts »Discussions« und »Arguments« überschrieben hat. Ives selbst, nicht nur in seinen beiden Streichquartetten, liebte das Zitieren von Musik, von Landschaften und Bildern. Sein Komponieren, das von Schönbergs gleichzeitigen Bahnbrechungen nichts wusste, stieß auf eigene Art - atonal, polymetrisch, astilistisch - weit vor in die Zukunft der Musik. Aus den USA kommen eben nicht nur ferngesteuerte Plattköpfe wie der gegenwärtige Präsident, sondern immer auch Beispiele wunderbarer Beweglichkeit, Unabhängigkeit und Frische des Geistes. So ist Ives´ Musik für Streichquartett nicht nur Beleg radikaler Dogmenferne. Sie steckt zugleich voller Witz und Melancholie, Hymnen und Choräle, Feuerwehrmärsche und Schlager. Ives´ existenzielles Bedürfnis nach Abwechslung - er war im Brotberuf wohlhabender Versicherungsunternehmer -, sein Horror vor Langeweile und ritueller Hohlheit machten ihm gelegentlich gar Lust aufs Spiel mit der Erinnerung: Sein erstes Streichquartett und das optimistisch verzwickte Scherzo klingen schließlich, als hätte der späteste Beethoven, Gründervater des modernen Streichquartetts, irgendwann auf einen Sprung auch mal in Connecticut vorbei geschaut (Leipziger Streichquartett - MDG 307 1143-2).

Wie der bonngebürtige Meister der Wiener Klassik wollte auch der wiengebürtige Hanns Eisler (1898-1962) mit Musik gesellschaftliche Wirkungen erzielen. In Glanzstücken wie dem Solidaritätslied oder der Deutschen Sinfonie beflügeln sich politische und musikalische Avantgarde wechselseitig, ohne dass der Komponist sich darin erschöpfte. Eislers hoch empfindliche Lieder beispielsweise sind keineswegs nur von Brecht angeregt, sondern auch von Möricke, Hölderlin, Pascal. Auf einer neuen CD mit Streichquartetten aus dem Umkreis Arnold Schönbergs entwickelt Eisler aus dessen »Reihe von zwölf Tönen«, sie sind in Eislers Quartett nicht zufällig wie eine herkömmliche Fugenmelodie gesetzt, eine farbig impulsive Komposition voller Einfall und Ausdruck. Eisler liebte, zumindest in der Musik, den Zusammenklang von Genuss und Nüchternheit. Sein Streichquartett (1937, New York) ist darum nicht allein kompliziert, sondern auch fasslich; nicht nur kühl gebaut, sondern auch sentimental, nicht nur fein, klar, kostbar, sondern auch, wenn nicht rauschhaft, so doch berauschend schön, weh- und anmutig (+ Bergs Streichquartett op. 5 + Zemlinkskys Streichquartett Nr. 2 - Quatuor Johannes; Mécénat Musical/Note 1 222472-MU750).

Wenn ich nicht irre, war wiederum Arnold Schönberg der Erste, der den Einfall hatte (und ihn in seinem zweiten Streichquartett auch umsetzte), die vier Streicher mit der menschlichen Stimme zu ergänzen. In Hans Zenders (geb. 1936) Quartett-Trias Hölderlin lesen »liest« Salome Kammer, ihn sprechend, Hölderlin, derweil die Streicher den Dichter »lesen«, indem sie ihn interpretieren und, da sämtliche Texte fragmentarisch sind, auch weiterdichten. Das ist faszinierend, weil die Musik hier buchstäblich - nämlich illustrierend, deutend, die Lücken nicht büßend, sie aber erfüllend - zur Sprache kommt. Zugleich wird der Umstand produktiv und reizvoll, dass Sprache, unabhängig von ihrer Semantik, Musik ist und Lesen folglich, nach außen wie nach innen, immer auch Hören. Ein Musikvergnügen ergo der besonderen Art (Arditti Quartett - Montaigne/Helikon HMF MO 782094).

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