Klappentext ist Deppentext. Weiß man ja. Und er wird immer wichtiger in einer Zeit, in der das Deppentum die Welt übernehmen zu wollen scheint. Wer hätte denn noch Zeit, ein ganzes Buch zu lesen? Als unterbezahlter Journalist zumal. Lese ich also den Deppentext. Ist ja doll, was der Panizza da für ein Buch rausgehauen hat, und das posthum, mit ein klein wenig Hilfe vom nachgeborenen Kollegen Joachim Bessing, gerade mal 60 Seiten, wenn man Bessings üppiges Vorwort mitzählt, und doch: Was für ein Megakracherwerk der Weltliteratur ist hier nun aufgetaucht! Die Menschenfabrik. Geschrieben 1890. Klappi weiß Bescheid: „lange vor Orwell und Huxley“ ... „prophetisch, fesselnd und verstörend“ ... „Optimierung der Menschheit“ ... „drohende Herrschaft der künstlichen Intelligenz“ ... stopp!
Der gute alte Panizza. Hätte man ihm ja gar nicht zugetraut. Man hätte ihm vielleicht eine nette, ausgedehnte Glosse zugetraut, in der ein Wanderer nachts an einem größeren Gebäude anklopft, Einlass findet, von einem Männlein herumgeführt wird in dieser Fabrik, wo menschenförmige Gestalten produziert werden, welche sich dann – hoho! – erst ganz am Ende, weil der Panizza Oskar es nun erst auflöst, als Porzellanfiguren herausstellen, und das Gebäude als die Meißener Porzellanmanufaktur!
Auf eine neckische, spielerisch philosophisch angehauchte, in Maßen fesselnde und überhaupt gar nicht verstörende Lektüre hätten wir uns eingestellt, denn es ist ja der Panizza Oskar, und da ist ja auch nichts dagegen zu sagen. Und wenn wir ganz, ganz ehrlich sind, liebe Leserinnen – und wir hoffen, Sie bleiben diesem Text hier trotzdem noch bis ans Ende gewogen, wir werden uns eine ganz dolle Abschlusspointe ausdenken für Sie –, wenn wir ganz, ganz ehrlich sind: Dann hat der Panizza Oskar genau das auch geschrieben. Und jeder, der dort einmal hineinblättern würde, könnte das auch ganz leicht erkennen, so er sich denn nicht vom Vorwortbessing einlullen lässt, der zu Orwell und Huxley auch noch ein bisschen Proust, Nabokov und Schirrmacher reinrührt in den argumentativen Quark, in den der Panizza Oskar nun unverschuldet geplumpst ist, doch siehe da:
Es funktioniert! Wir wissen nicht, ob Vorwortbessing die Geschichte zu Ende gelesen hat, ehe er sich einer großen Begeisterung und seinem Vorwortschrieb anheimgab, wissen nicht, ob es im Verlag jemand tat. Sicher ist nur, bei den Rezensenten hat das Buch fast niemand gelesen, im Sinne von: klaren Geistes und unvoreingenommen auf sich wirken lassen. Überall dröhnt’s, rumpelt’s und robotert’s brav nach, was Klappi vorgab: „Die Lektüre dieses prophetischen Werks ist verstörend“ (Südkurier) ... „eine Parabel von erstaunlicher Aktualität“ (changeX.de) ... „Dystopie zum Thema Mensch“ (Welt am Sonntag Kompakt) ... „hellsichtige und zukunftsweisende Erzählung“ (Lebensart) ... „beklemmend aktuelle Zukunftsvision“ (ekz.bibliotheksservice) ... „scharfsinniger Appell an das Gewissen der Wissenschaft“ (Altmühl-Bote) ... „heute aktueller denn je“ (diezukunft.de) ... so geht das nun seit Monaten, seit Erscheinen, zuletzt hat die katholische Tagespost vor ein paar Tagen einen „Roman über das Klonen“ ausgemacht – Porzellan-Klonen! –, und so quietscht und rasselt das Verkaufsband voran, geistlos wie Golems plappern sie das alles nach, was sie meinen, nachplappern zu müssen, und womit sie meinen, Aufmerksamkeit erregen und Leser generieren zu können – und wenn Sie jetzt vom Autor dieser Zeilen, einem Vertreter dieser wenig scharfsinnigen Spezies der Zeilenschreiberlinge, auch noch allen Ernstes eine Schlusspointe erwartet haben, verehrte Leserinnen, dann weiß ich auch nicht mehr.
Kommentare 8
im kampf um markt-beachtung
wird alles versucht.
aufmerksame können struppige stil-blüten lesen.
Sind zwar auch nur ‘ne Art Klappentext(e), aber aus (hoffentlich?) proffesionellem Munde (und etwas ausführlicher):
https://literaturkritik.de/panizza-menschenfabrik,25585.html
https://www.literaturportal-bayern.de/oskar-panizza-reihe?task=lpbblog.default&id=66
Gut gebrüllt, Herr Ungerer, auch wenn es auf Seiten des professionellen, journalistischen Literaturfeuilletons nichts ändern wird.
Sie haben selbstverständlich Recht, dass alle übertriebenen Weltliteraturelogen bezüglich der eher knappen, fast wie ein Exposé zu einem viel längeren und vielleicht besseren Roman wirkenden, Erzählung aus den "Dämmrungsstücken", mögliche Leser auf die falsche Fährte setzt.
"Die Menschenfabrik" ist sprachlich nicht sonderlich ausgereift, wirkt eher holprig und unredigiert. Man kann das knappe Stück auch einmal bei "Zeno" oder "Gutenberg" anlesen und wird sofort einsehen, dass es sich mitnichten um ein Meisterwerk handelt. Es hält keinen Vergleich mit Panizzas "Wallfahrt nach Andechs", "Der operierte Jud".
Wie alle "Dämmrungsstücke", ist die Schauergeschichte Edgar Allen Poe gewidmet und viele Motive erinnern eher an E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann" oder an Tiecksche Schauergeschichten (Zitat zur Einleitung des Textes).
Wäre ich Verleger, so würde ich das Textchen in die Hände eines begnadeten Illustrators geben und eine Comic/Grafic- Novel draus machen. Auf diese Idee sind aber schon klügere Menschen im Literaturbetrieb gekommen, und so hat Michael Meier die "Menschenfabrik" für die rotopolpress (2008) gezeichnet.
Panizza selbst, erklärt, nach einer umständlichen Einleitung, warum er, als wandernder Erzähler irgendwo um Meißen herum, von der Menschenfabrik schreibt, es handele sich um eine Komödie.
Trotzdem gibt es ein paar sehr interessante Ansichten und Einfälle, die nicht nur zeigen, wie gut Panizza seine positivistische und geschäftstüchtige Lebenszeit verstand, ohne selbst mit ihr klarzukommen, sondern auch für Leser, die dann lesend weitermachen, mit anderen Werken und ein wenig mit dem Denken, das so schwerfällt und den Schweiß treibt, etwas bieten.
Das Denken und Fühlen ist den Fabrikmenschen nämlich absichtlich nicht gegeben, mit der Begründung, die Welt sei dann einfacher zu bewältigen und sie verkauften sich besser.
Dieser bewusste Bezug auf das ökonomische Wesen der Fabrik, nämlich für alle Besteller (heut´wird nur noch bestellt und damals wurde der Versandhandel erfunden) kommode "Menschen"- Ware zu produzieren, ist ein Strang der heute wieder aktuell wird.
Der einfühlsame Roboter, als Pfleger, als Gesprächsgummiwand für Einsame, als schönes Bild von bestem, sogar plastisch- weichen Porzellan, als Ersatz für den Sexualpartner, so kalt muss man das hinschreiben, lieferte schon damals, ohne diese Téchne zu kennen, frische und gepenstisch aktuelle Gedanken, die in der fragmentarisch erscheinenden Erzählung anklingen.
Ein zweiter Aspekt ist damit eng verbunden. Für die avancierte Fabrik gilt: " Alles trug den Charakter der Salubrität und rationellen Bewirtschaftung. (Panizza)". Sauber, ordentlich und effizient geht es heute in den Fortschrittsfabriken zu. Reinräume, Feinststaubfilter und geringste Fertigungstoleranzen, bei höchstem Output, sind Voraussetzung für die Bedürfnisbefriedigung der Kunden.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Es wäre ganz lustig, wenn diese Art der Rezensionen nicht den Markt bestimmen würde. Als Kleinverlag mit ernsthaften Absichten: Keine Chance!- Wir leben in der Zeit der Lifestyle und Kolumnisten-Literatur. Wollen wir Tiefgang, lesen wir die alten Klassiker der Weltliteratur. Dabei gibt es gute Editionen zu Hauf ...Macht nur Arbeit, selbst zu sichten.
Höhö, sehr lustig, hat mir diesen Sommerabend gerettet. Danke. - Als nächstes, Klaus Ungerer, köntest du vielleicht mal deine Textchef-Kodderschnäuzigkeit (falls Zweifel aufgekommen sind, das ist anerkennend gemeint!) einsetzen, um was über die Community-Kommentatoren schreiben, die die hier redaktionell besprochene Literatur o.dgl. selbst auch nie gelesen haben, aber sich anhand der Rezensionen (die, davon gehe ich aus, nicht einfach nur den Klappentext zur Grundlage haben) sofort ein vernichtendes Urteil bilden. Oft über die Rezensent*innen gleich mit.
Ich glaube nicht, dass ein Sich-Echauffieren von der Position des hehren Geistes und der Moral dem Phänomen gerecht wird. Fakt ist: Auch Rezensent(inn)en früherer Tage beteten Klappentexte bereits mehr oder weniger ausgiebig nach (was schlichtweg damit zusammenhängt, dass Copy & Paste einfach weniger Arbeit macht).
Zugegeben – in Zeiten der Online-Honorardrückerei, abgebauter Stellen und steigendem Leistungsdruck steigt auch die Versuchung, Kulturrezensionen mit dem maximal möglichen Minimalaufwand zu fabrizieren. Allerdings gibt es noch erstaunlich viele Rezensent(inn)en, die ihren Job auf eine fast altmodische Weise solide betreiben. (Diese Beobachtung gilt sowohl für das Gros der bekannten Qualitätsmedien als auch diverse Nischenseiten im Weg – wobei die Nischen qualitativ oftmals die Nase vorn haben.)
Für Interessierte an Belletristik und Sachbuch heißt dies schlicht: Man muß die mediale Berichterstattung (wie alles andere) kritisch zur Kenntnis nehmen – und sie keinesfalls behandeln wie eine hohe, letztgültige Offenbarung. Ich für meinen Teil jedenfalls fühle mich von den Kritiken, die ich informationshalber heranziehe (lohnt sich das? oder eher nicht?) bislang recht gut informiert.
Die Domain »www.klappe-halten.de« steht aktuell zum Verkauf. Irgend geartete Texte »aufrechter Leser« hat es dort allenfalls in der Vergangenheit vielleicht mal gegeben.
gern gelesen!