In etlichen Bundesländern enden die Sommerferien – nach Monaten der Improvisation ist nun der schulische „Regelbetrieb“ das erklärte politische Ziel. Doch die Corona-Zwangspause hat die gesellschaftliche Spaltung massiv verstärkt. Von Normalität wird auch im Herbst keine Rede sein können.
Schulen haben neben der Vermittlung von Wissen eine Betreuungsfunktion, die die Erwerbstätigkeit beider Elternteile erst ermöglicht. Als sie zusperrten, sollte es die alte Kleinfamilie richten, genauer: die Hausfrau. Trotz des schleichenden Abschieds vom männlichen Ernährer auch in Westdeutschland leisten überwiegend Mütter Sorgearbeit. Nun sollten sie auch noch Lehrerinnen sein. Aus dem Intermezzo drohte ein Dauerzustand zu werden. Verstärkt haben diese Hoffnungslosigkeit Politiker wie Karl Lauterbach, der trotz SPD-Parteibuch die psychosozialen Folgen des Lockdowns fast ignorierte; wie ein Mantra prognostizierte er, es werde auf absehbare Zeit keinen regulären Schulbetrieb geben.
Im Eigenheim lassen sich Kontaktverbote besser aushalten als in engen Etagenwohnungen. Dort fehlt der Platz für die Schulaufgaben, öffentliche Ausweichpunkte wie Bibliotheken waren zeitweise geschlossen. In vielen einkommensschwachen Familien gibt es nur Handys, aber weder funktionierende Mailadresse noch Drucker. Die von der Bundesregierung aufgestockte Förderung virtueller Bildung enthält zwar Zuschüsse für Endgeräte zugunsten armer Kinder, doch mit 150 Euro fallen sie mager aus. Die meisten Digitalpakt-Gelder fließen zudem erst in den nächsten Jahren, mit Schwerpunkt auf Lernprogrammen. Das hilft vor allem den Privilegierten, die über digitale Infrastruktur und eigenes Zimmer verfügen.
Noch schwerer wiegt das „kulturelle Kapital“, wie es der Soziologe Pierre Bourdieu genannt hat: die Bildungsressourcen der Eltern. Wenn Mama und Papa studiert haben, können sie meist besser helfen. Aktuelle Untersuchungen belegen, dass die Sprachkompetenz der Kinder von Geflüchteten während des Lockdowns gesunken ist, weil in den Familien kein Deutsch gesprochen wird.
Schon im April wies das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) darauf hin, dass nur 15 Prozent der Zwölfjährigen und 27 Prozent der 14-Jährigen aus Hartz-IV-Haushalten einen eigenen Rechner nutzen. Auch mit Büchern oder Software sind sie mangelhaft versorgt. Das IW regte schulische Chancenbeauftragte an; wer zu Hause keine Lernmöglichkeiten habe, solle möglichst bald an die Schule zurückkehren.
Verkehrte Welt: Ein arbeitgebernahes Institut warnt vor einer Verschärfung der gesellschaftlichen Spaltung, ein sozialdemokratischer Mediziner pflegt medienwirksam seinen einseitigen Virologen-Tunnelblick. Mit dem Ferienende verschärfen sich verteilungspolitische Debatten nun: Welche Interessen haben Vorrang? Warum sind Abiprüfungen wichtiger als die Bildungschancen migrantischer Kinder? Wie die in der Hochphase der Pandemie entstandenen Wissenslücken, die Ferienkurse nicht vollständig ausgleichen konnten, füllen?
Benachteiligte Kinder brauchen persönlichen Lernkontakt, wie er im Digitalen nur begrenzt möglich ist. Deshalb ist es richtig, dass sich die Kultusministerkonferenz auf den „Regelbetrieb“ festgelegt hat. Doch warum sind umfassende Corona-Tests an Schulen weiter nicht vorgesehen? So beginnt gerade ein für alle Beteiligten riskantes Experiment.
Kommentare 22
Leider ist der sogenannte Regelbetrieb an deutschen Schulen zum großen Teil nach Jahrzehnten der Vernachlässigung zum ganz normalen Wahnsinn mutiert. Der soll jetzt maskiert stattfinden. Das Fachlehrer-Prinzip stellt den Sinn der geplanten Maßnahmen schwer in Frage: Was wenn die Chemie-Lehrerin Corona hat? Machen wir die Schule dicht, weil sie alle (!) Schüler* unterrichtet? Oder lassen wir das mit dem Chemie-Unterricht gleich ganz? Das Hemd ist leider viel kürzer als Manche das wahrhaben wollen. Es gibt nicht nur Gymnasien! Da hilft wohl nur: Bloß nicht testen!
Das Problem mit Online-Unterricht reißen Sie zwar an, vergessen aber, dass Schulen eben nicht nur lehren und betreuen. Sie benoten auch! Auf welcher Grundlage soll das online gehen? Da geht es um die Zukunft von Menschen!
Deider argumentiert auch dieser Artikel nicht ein einziges Mal aus der Sicht der Menschen, die sich durch die Öffnung der Schulen einem höheren Risiko der Corona Infizierung ausetzen. Der Lehrer wird seit Jahren sowohl von vielen Eltern als auch von dem Staat nicht ernst genommen. Auch in diesem Artikel erkennt man leider, das der Lehrer unwichtig ist.
Und im Übrigen geht es in den meisten Diskussionen auch nicht um die Kinder, es geht um die "Befreiung" der Erwachsenen. Das ist scheinheilig.
Dazed and confused.
Macht Lauterbach keine Filme mehr???
Reißt der (Kurt) keine Zoten mehr für verklemmte Erwachsene?
!!!!!
Das hat er aber gefickt eingeschädelt. :-)
Ich wäre Ihnen mit dem Kurt fast auf den Leim gegangen und wollte schon einen über Frank Zander raushauen, der doch mal was mit einem Kurt hatte.
Meine Sorge vor öffentlicher Bloßstellung hat das zum Glück verhindert. So fand ich dann die Verbindung von Heiner L. zu Kurt. Dummerweise auch zu Til Schweiger.
Als mittelhessischer Landsmann bin ich von dem bedient, wie er vor Jahren bei Heimatbesuchen fett grinsend in seinem Cabrio durch Gießen ein Schaufahren verunstaltete. Leider blieb das Gießen von oben aus. ;-)
Soviel off topic. Ich gebe wieder zurück an die Community ...
Ein Blick auf die Hintergrundbilder der Nachrichten deutscher Klassenzimmer zeigen immer noch primitive Einheitssitzmöbel. Mir ist nicht ganz klar, dass in der Bundesrepublik das Thema Bildung nicht über den Status der politischen Geschwätzigkeit hinaus gelangt. Selbst die an sich qualifizierten Akademiker im Bereich der Bildungs- und Sozialpolitik scheuen sich nicht davor täglich ihre eigene Gedankenlosigkeit öffentlich zu verkünden.
Es ist wohl unbestritten, dass die öffentlich rechtlichen und die privaten Medien schon seit Jahrzehnten mit ihren zahlreichen zeitgemäßen leicht verständlichen Reportagen und Dokumentationen den Bildungsauftrag übernommen haben. Darüber gibt es mehr als genug Beispiele aus unseren Europäischen Nachbarländern, wie Schule auch nicht nur aussehen, sondern auch wie sie von den Schüler/innen erfahren werden kann.
Die Verhältnismäßigkeit der aufgewendeten finanziellen Mittel und die politische Handlungsfähigkeit zur Unterstützung der wirtschaftlichen Interessenverbände in Deutschland, steht im Vergleich mit den zu lösenden Aufgaben in der Bildungspolitik in den anderen demokratischen Ländern in keinem guten Licht da.
Besonders in dieser Zeit des globalen Gesundheitsnotstandes, hat die parteipolitische und menschliche Heuchelei der Verantwortlichen über die Bedeutung der Kinder für die Zukunft unseres Planeten jegliches Maß des Anstandes überschritten.
Ein lokale, nationale und europäische öffentliche Debatte über die Zukunft der Bildung, scheint zwingend erforderlich zu sein. Eine Massenabfertigung von Schüler/innen als Bildungskonzept, hat weder etwas mit Chancengleichheit noch mit einer freien Entwicklung der Persönlichkeit zu tun.
Die kostenlose Förderung der individuellen, kreativen und schöpferischen Fähigkeiten erfordert ganz neue Konzepte der Pädagogik (griech. Erziehungskunst). Warum bitte soll es nicht Lerngruppen mit max. 12 Schüler/innen und zwei Lehrkräften geben? Über die Hälfte des Unterrichtes kann doch in der Natur , an der frischen Luft stattfinden.
Kinder 12 Jahre lang dazu zu zwingen die Schulzeit überwiegend im sitzen auf ungesunden Stühlen zu verbringen, entspringt dem Denken und Handeln aus dem 19. und 20. Jahrhundert.
Wenn lehrbefähigte Pioniergeister, kleine Pioniergeister wecken sollen, dann benötigen wir auch neue Schulen der Experimente, Exkursionen und Expeditionen. Die Wertschätzung die ein Erwachsener gegenüber der Gesellschaft aufbringt, wird doch ganz wesentlich durch die Wertschätzung geprägt, die er selber als Kind durch die Gesellschaft erfahren hat.
"Kinder 12 Jahre lang dazu zu zwingen (...)"
Anmerkung: zwingend sind nur 10. Der Rest ist Abitur.
"der lehrer wird nicht ernst genommen von eltern" > das bringen sog. individulisierte, sog. liberale gesellschaften aka überbetonte partikularinteressen aka "mein kind ist aber auf jeden fall superintelligent, diese note, das kann nicht sein" mit sich. damit haben nicht nur lehrer zu tun, auch z.b. ärzte usw...ist aus meiner sicht ein systemisches problem.
dem höheren risiko der infektion sind mitarbeiter von geschäften, paketfahrer, pflegepersonal, ärzte undundund ausgesetzt. die machen zum großen teil weiter.
meine mutter war lehrerin, ich kenne viele lehrer/innen und stand ihnen bisher eher positiv ggü. (trotz einiger ziemlich negativer schulerfahrungen), aber was auf der schule meiner kinder (und nicht nur dort) während corona passierte, bringt mich langsam dazu, in den chor der lehrerkritiker einzustimmen. selbstverständlich gibt es viele engagierte lehrer, gefühlt aber ebenso viele, die sich bei gelegenheit wegducken, verschwinden, starr und unflexibel auf neue problemstellungen reagieren.
auf der anderen seite ist klar, in schland wird zu wenig geld für die bildung ausgegeben (wir sind fast oecd schlusschlicht), etliche sinnlose "reformen" haben die motivation der lehrer/innen unterminiert, das muss man auch sehen.
Sehr gerne gelesen.
Ja sind sie. Sind sie geprägt von Mangel, dann sind eigentlich 12Pflicht.
"Lauterbach juckt die Spaltung scheinbar nicht"
https://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-abc-scheinbar-anscheinend-a-315125.html
"Wenn sie sich dann informiert haben, gelangen die Lauterbach-Verteidiger vielleicht ins Grübeln?"
Wohl leider kaum.
Sehr lesenswert und bereichernd, Ihre Kommentare!******
Hmm... Wo Sie Recht haben...
Vergleichen Sie mal die Zahlen von Sachsen mit denen in NRW oder Bayern. Da kommt man ins Grübeln.
Yep!
Zudem: Wen juckt Lauterbach nicht?^^
Richtig: Die Spaltung juckt Lauterbach nicht!
Moin Stiller!
Darauf wollte ich auch schon eingehen. Willkommen bei den Sprachkritikern hier.
Dazu gibt es eine schöne Anekdote:
Konrad Duden unterhält sich mit seiner Wirtin, die ständig "scheinbar" und "anscheinend" verwechselt. Duden erklärt ihr freundlich und geduldig den Unterschied, worauf sie ihm antwortet: "Sie haben scheinbar keine Bildung nicht"
Über die Sozialpolitik der SPD braucht man doch keine Worte zu verlieren.
In dem Beitrag ist viel von "einkommensschwachen Familien" und "armen un benachteiligten Kindern" die Rede und davon, wie wichtig die Schule und entsprechende Förderungen für jene sind.
Der eigentliche Skandal ist jedoch, dass es überhaupt in diesem reichen Land arme Erwachsene und Kinder gibt. Diese Stoßrichtung fehlt mir bei derartigen wohlmeinenden Überlegungen. Überdies sind arme Kinder auch in der Schule benachteiligt, und zwar nicht zu knapp.
Danke für die Antwort aber mir ging es nicht um das Recht haben. Ich bin auch der Meinung wie Frank Mögling- Stühle, das Sitzen usw. ... .Der Mangel zieht Kreise bis in Kindergärten- Weigerung in Bezug auf Sprache, das Festlegen z.B. von Play- Station- Zeiten etc....Ich bin immer wieder erstaunt über die latenten Analphabetenschulabgänger in Prozentzahlen zu finden in Statistiken.Im Umkehrschluss können diese jungen Zweibeiner nicht mal die Mathematiksachaufgabe lesen....Da war die flapsige Bemerkung 12Jahre eine Humormeinung.Insgesamt 12Jahre kann sich auch auf die Schulbesuchsdauer beziehen mit Wiederholungsdauer einzelner Schuljahre. Ich denke nicht, daß sich die Bildungsunterschiede ganz beheben lassen. Manche Grundschulklassen haben eher Sozialarbeiter w/m nötig, um regulären Unterricht zu garantieren. Leider ist der Qualität- Schulessen so wenig Beachtung geschenkt worden, jetzt wird teilweise zurückgerudert aber so viele Anbieter gibt es auch nicht in Städten, da hat dann der Marktkampf sein übriges getan.Ich sehe die Bemühungen der Regierung wenigstens das Boot oben zu halten. Ich sehe auch, da wo ich wohne, dicke Kinder und ein Abbild ihrer Eltern. Und nein, ich habe nichts gegen Dicke, werden genauso gepflegt wie Dünne....
"Gibt es da auch schon Pressekonferenzen über Studien an Schülern und Lehrern?
Ich wäre Ihnen dankbar für einen Link."
Tut mir leid. Wenn ich einen Link wüsste, hätte ich den auch sofort geteilt. Zorri.
Gemeint waren genau genommen die reinen Zahlen an Infizierten im Verhältnis zur Bevölkerung. Das ist zwischen Sachsen und NRW z.B. etwa 1:3 (also dreimal so große Wahrscheinlichkeit, dass Sie eine infizierte Person treffen). Dazu kommt dann noch der viel größere Anteil städtischer Bevölkerung. Bayern ist nur scheinbar der bessere Vergleich, weil zwar viel ländlicher, das ist dem Virus aber wahrscheinlich herzlich egal.
Das war genau was ich mit dem "ganz normalen Wahnsinn" meinte. Ich frage mich seit längerem, wie die herrschenden darauf kommen, daß das niemand merkt. Aber die werden schon die >richtigen< Schulen für ihre Zöglinge gewählt haben.
Warum habe ich Karl Lauterbach anders vernommen als hier, zusätzlich garniert mit einem diffamierendem Wording, vom Autor unterstellt?