In den Klassenzimmern von Grundschulen herrscht Lehrermangel. Die wenig gendergerechte Sprache ist in diesem Fall ausnahmsweise eine sehr korrekte Beschreibung: Denn viele Kinder erleben erst auf der weiterführenden Schule einen männlichen Pädagogen. Deutschlandweit liegt der Anteil der männlichen Lehrkräfte seit Jahren stabil bei rund zwölf Prozent. Noch vor vier Jahrzehnten war das Geschlechterverhältnis im Primarbereich fast ausgeglichen. Und der immer noch bescheidene Andrang männlicher Studienanfänger signalisiert keine richtige Trendwende.
An einigen Hochschulen mit entsprechenden Lehramtsstudiengängen entstanden deshalb Projekte, die gezielt um männliche Pädagogen warben – so etwa an den Universitäten in Hamburg u
Hamburg und Hildesheim. Aufsehen erregte vor allem die Universität Bremen mit ihrer besonders medienwirksamen Kampagne „Rent a Teacherman“, zu Deutsch: Leih’ dir einen Lehrer! Das europäisch ausgezeichnete Modellprogramm vermittelte männliche Studierende aushilfsweise an weitgehend „männerfreie“ Grundschulen. Die Honorare der Hilfskräfte auf Zeit bezahlte die Bildungssenatorin der Hansestadt. „Weder Jungen noch Mädchen sollten den Eindruck bekommen, dass es ausschließlich Frauensache ist, sich um kleinere Kinder professionell zu kümmern“, so Christoph Fantini vom zuständigen Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Bremen.Jungen brauchen männliche Vorbilder auch außerhalb der Familie; Mädchen brauchen Männer ebenso, als das andersgeschlechtliche Gegenüber: Das klingt zwar banal, war aber lange kein Thema der pädagogischen Fachdebatten. Feministische Forscherinnen warnten vor Rollenklischees, sie interpretierten den Ruf nach mehr Männern stets als Abwertung weiblicher Lehrtätigkeit. Die Hamburger Pädagogik-Professorin Hannelore Faulstich-Wieland sprach von einer „Dramatisierung des Geschlechts“, ähnlich argumentierte der Soziologe Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin. Nach seinen Studienergebnissen hat das Geschlecht im Unterricht nur nachrangige Bedeutung, jedenfalls seien weibliche Lehrkräfte nicht „für den geringeren Schulerfolg der Jungen verantwortlich“.Antifeministen springen aufAnders sieht das der Jugendforscher Klaus Hurrelmann von der Berliner Hertie School of Governance: Er forderte sogar eine Quote für männliche Bewerber in pädagogischen Berufen. Unterstützung erhielt er von antifeministischen Männerrechtlern: Vereine wie MANNdat betrachten männliche Schüler, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, pauschal als „Bildungsverlierer“; als Ursache haben sie eine angeblich „feminisierte“ Schule ausgemacht. Das Thema Männer an Grundschulen landet so mitten in kontroversen Gender-Debatten. Doch theoretische Kontroversen interessieren die Praktiker wenig.Die Bremer „Teachermen“ halfen im Sexualkunde-Unterricht oder als männliche Begleitpersonen bei Klassenfahrten. Und die Studierenden merkten, wie anspruchsvoll die Arbeit an der Grundschule ist. Stets lauerte dabei die Gefahr, gängige Stereotypen zu bedienen. „Ich raufe nicht die ganze Zeit mit den Jungens und lasse auch nicht dauernd Fußball spielen“, sagt ein Bremer Student über seine Erfahrungen im Projekt. Lehrerinnen und Schulleiterinnen reagierten begeistert, „als wir ihnen männliche Helfer schickten“, so das Fazit von Hochschullehrer Christoph Fantini. Eine nennenswerte Zahl von Männern an den Schulen, so der Projektleiter, sei einfach ein wichtiges Korrektiv – nicht weil sie „besser“, sondern weil sie anders sind und die Lehrsituation bereichern.Was hält männliche Studienanfänger davon ab, den Beruf des Grundschullehrers zu wählen? Zum einen die finanziellen Perspektiven: Sie werden später bis zu 500 Euro weniger verdienen als am Gymnasium. Mit einer Kampagne, die höhere Gehälter in der Primarstufe verlangt, versucht die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft dagegenzuhalten. Die der GEW nahestehende Max-Traeger-Stiftung gab in Kooperation mit dem Bundesfamilienministerium eine Expertise in Auftrag. Olaf Stuve und Thomas Viola Rieske vom Berliner Gender-Forschungsinstitut Dissens untersuchen darin, „wie Geschlechtervielfalt in Kollegien von Grundschulen erreicht werden kann“. Die Gründe für den geringen Männeranteil sehen die Verfasser neben der Bezahlung auch darin, wie möglichen Interessenten „durch verbreitete Männlichkeitsbilder Wege in pädagogische Tätigkeitsfelder erschwert werden“.Die schlechte Bezahlung allein ist es nicht. Eine andere Hürde ist die Furcht vor einem Prestigeverlust im privaten Umfeld. Manche junge Männer haben nach wie vor eher traditionelle Rollenvorstellungen. An Autos zu schrauben oder Maschinen zu warten, gilt häufig sehr viel mehr als Erziehungsarbeit. Der Fokus an den Grundschulen liegt vorrangig auf der Didaktik, persönlicher Zuwendung und dem Herstellen emotionaler Nähe – eher Frauen zugeschriebenen Fähigkeiten also. Zusätzlich abschreckend wirkt seit Jahren die Diskussion um sexualisierten Missbrauch, die männliche Pädagogen immer wieder pauschal mit Pädokriminalität in Verbindung bringt.Es klappt, die Zahlen steigenDas Dissens-Forscherteam hält es für wichtig, „das öffentliche Bild des Berufes zu korrigieren“. Auch Projektleiter Fantini von der Universität Bremen wünscht sich einen Imagewandel. An den Grundschulen gehe es „keineswegs nur um das Einmaleins, Singen und Basteln“. Die erwünschte „Pädagogik der Vielfalt“ könne in „männerfreien“ Räumen nicht funktionieren, die Primarstufe setze entscheidende Impulse für die weitere kindliche Entwicklung.Die vorbildliche Bremer Motivationskampagne jedenfalls hat sich ausgezahlt: Seit „Rent a Teacherman“ sind die Zulassungszahlen männlicher Bewerber für das Grundschullehramt an der Hochschule deutlich gestiegen.Placeholder authorbio-1