Buchmesse In der DDR wurde Halldór Laxness – aufgrund seiner kommunismusfreundlichen Haltung – viel beachtet. Warum man den isländischen Autor auch heute noch lesen sollte
Dass Island in diesem Jahr Ehrengast der Frankfurter Buchmesse ist – daran ist womöglich Halldór Laxness nicht ganz unschuldig. Denn der isländische Autor (1902-1998) hat die Literatur seiner Insel geprägt wie kein anderer. 1955 bekam er als erster und bislang letzter isländischen Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur, und im Laufe seines langen Dichterlebens wurde er weit über Island und den Norden Europas hinaus von einem weltweiten Publikum gelesen. Auch in Deutschland fand er Bewunderung, allerdings − aufgrund seiner kommunismusfreundlichen Haltung − vorerst vor allem in der DDR.
Hier hatte Laxness ein großes und zugeneigtes Lesepublikum. In meiner persönlichen Erinnerung war es eine Taschenbuchausgabe von Atomstation,
Atomstation, der ich mein erstes Leseerlebnis mit Laxness verdanke; ich fand diesen schmalen Band im Bücherregal meiner Eltern vor. So wie dieses Werk wurden auch alle seine großen Romane in der DDR in hohen Auflagen herausgebracht. Man kann durchaus sagen, dass Laxness sich hierzulande über Jahrzehnte seiner Anhängerschaft sicher sein konnte und zu den in der DDR immer wieder aufgelegten skandinavischen Autorinnen und Autoren gehörte.Er wurde von vielen Leuten gelesen, die – so wie meine Eltern – in der jungen DDR um die Mitte des 20. Jahrhunderts selbst jung und im Aufbruch waren, bis hin zu meiner Generation, die in dieser Zeit geboren wurde. Frage ich jedoch heute meine Studentinnen und Studenten nach Halldór Laxness, so ist ihnen dieser Name allenfalls noch sporadisch geläufig als Isländer und Romancier aus einem längst vergangenen Jahrhundert.Isländische BefindlichkeitMit etwas Glück ist auch noch ein Werk bekannt, oft wird dann die Islandglocke genannt, die „irgendwie etwas Historisches behandelt ...“ Die Wissenskonstellation „Laxness-Island-Schriftsteller“ ist heute also recht nebulös geworden. Mit den Jahren und deren unumgänglichen Generationswechseln hat Laxness sich seinen Platz als Klassiker erobert und bewahrt, ist aber nicht mehr der Schriftsteller, dessen Romanfiguren einer breiten Leserschaft so nahestehen, wie es viele Jahre lang war.Laxness war eine Persönlichkeit mitten im bewegten 20. Jahrhundert und erzählte von diesem Jahrhundert in Geschichten, die sich auf einer fernen und exotischen Insel zutrugen, auf der die Leute eine uralte und absonderliche Sprache sprachen. Und in dieser, der isländischen Sprache hat es der wortgewaltige Insulaner Laxness dann immerhin bis zum Nobelpreis für Literatur gebracht! Die Figuren seiner Romane sind einfache Leute, Fischer, Bauern und – typisch für Island – Dichter. Seine Romane über „den Fisch, das Schaf und die Dichtkunst“ wie Laxness es selbst einmal formulierte, benennen die tragenden Säulen isländischer Befindlichkeit, und diese Befindlichkeit konnte niemand außer Laxness in der isländischen Literatur mit einer solchen sozialen und kritischen Dimension zusammenbringen, wie sie seine Romane kennzeichnet.Alle isländischen Basisingredenzien – die raue Natur, die einsame Landschaft und ihre Schönheit, das bäuerliche Leben, die Selbsthelferfiguren und die kauzigen, knorrigen Charaktere sind in diesen Romanen vorhanden und treffen dann − wie zum Beispiel in Sein eigener Herr auf Laxness’ Auffassung vom Bauernstand, den er in die Determiniertheit der ökonomischen Bedingungen stellt, und der, obwohl er als gehuldigter Träger nationalen Überlebens der Isländer über Jahrhunderte hinweg das Symbol nationaler Größe war, nun, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, an den sozialen Bedingungen scheitern muss.Solche Geschichten wurden in einem gesellschaftlichen System, das sich als Überwinder des Kapitalismus verstand und den Sozialismus aufbauen wollte, gern gedruckt, Laxness erzielte in der DDR sehr hohe Auflagen. Und seine Geschichten wurden auch gern gelesen, denn sie erzählten von Menschen „wie du und ich“ und teilten Gesellschaftskritik nicht mit der Keule aus.Geschichten grandiosen ScheiternsDie Botschaft dieser Geschichten von Arbeitern und Bauern wollte, wenn man genau hinschaute, nie so recht ins künstlerische Konzept des sozialistischen Realismus passen, denn die Arbeiter und Bauern seiner Romane waren keine Sieger der Geschichte, ihre Lebenswege waren im Grunde immer Geschichten grandiosen Scheiterns. Sicher, dieses Scheitern hatte auch soziale Ursachen, Laxness war da schon eindeutig. Aber der Sozialismus als Alternative wollte in den Romanen nicht so recht kraftvoll am Horizont durchscheinen, er blieb eine nur vage Möglichkeit.Der Roman Salka Valka zum Beispiel ist ein Text, der eine prinzipielle soziale Gegensätzlichkeit von Kaufmann und Fischern zeigt und die darin enthaltene Perspektive eines patriarchalischen Herrscher-Knecht-Verhältnisses verwirft. Die Geschichte um die junge Frau Salka entwickelt aber auch ein spannendes Psychogramm starker Persönlichkeiten, die sich im Überlebenskampf durchsetzen und Schwache hinter sich lassen, und es ist auch eine leidenschaftliche Liebesgeschichte.Laxness’ Geschichten hatten, obwohl sie auf einer fernen Insel im Atlantik spielten, eine große Glaubwürdigkeit für die hiesige Leserschaft, sie waren spannend, emotional und handlungsstark erzählt. Die innere Verbundenheit und Anteilnahme des Autors mit seinen literarischen Figuren, wie auch seine Gesellschaftskritik waren spürbar und vermittelten Authentizität. Hinzu kam sein lakonischer Stil, an den Sagas geschult, dem auch nie ein Schuss Humor fehlte. Liegt hier vielleicht das Erfolgsrezept?Laxness’ Romane zeugen wie er selbst vom 20. Jahrhundert als einem Jahrhundert getrennter Systeme. Als Autor und als bekannte Persönlichkeit hat er sich da ziemlich deutlich eingemischt – und immer ist an ihm auch gezerrt und um ihn gekämpft und gebuhlt worden in diesen polaren politischen Welten. Er stand dem Sozialismus sowjetischer Prägung in dessen Anfangszeit nahe und hat als einer von wenigen skandinavischen und überhaupt westlichen Autoren Reisen in die Sowjetunion unternommen, um sich selbst ein Bild vom Sowjetkommunismus zu machen. Dieses war dann schon erschreckend, denn es war kein sozialistischer Idealstaat, den er vorfand, sondern ein stalinistisches Regime. Kritisch schreibt er darüber erst viel später – bezeichnenderweise ist der Essayband Zeit zu schreiben in der DDR nicht verlegt worden.Ein neuer MikrokosmosTeil seines literarischen Erfolges in der DDR ist auch eine glückliche Konstellation, die ihn mit dem Norden der DDR, mit der Universität Greifswald verband. Hier wirkte mein verehrter akademischer Lehrer Bruno Kress, den eine langjährige Freundschaft mit Laxness verband und der als der von Laxness für das Deutsche autorisierte Übersetzer seiner Werke galt. In den adäquaten Übersetzungen von Bruno Kress sind in den sechziger und siebziger Jahren sämtliche Romane des Spätwerks in der DDR erschienen. Kress hatte sogar die schärfste Herausforderung für die Übersetzung eines Laxness’schen Romans gemeistert: Er übersetzte Gerpla, eine an die altisländische Schwurbrüdersaga angelehnte Geschichte von den glücklichen Kriegern. Dieser Roman galt als unübersetzbar für ein heutiges Lesen, denn Laxness hatte darin nur Worte benutzt, die schon im Altnordischen vorhanden waren, und den Text im Sagastil geschrieben.Laxness’ Spätwerk entfaltet einen neuen Mikrokosmos. Es bleiben die Isländerinnen und Isländer, von denen er erzählt. Diese streben nun nach etwas, was ganz ohne Aufwand daherkommt – sie sind auf der Suche nach dem „reinen Ton“, in der Kunst oder in der Religion.Reflektion statt Aktion, leise Töne, das Einfache und Unspektakuläre, in dem die Vollendung sich verbirgt? Hier spricht die Lebenserfahrung vieler Jahrzehnte, die Weisheit, Duldsamkeit, Güte und das „ewig Menschliche“ an die Stelle von Aktion und Leidenschaft stellt.Diese philosophische Ebene charakterisiert Romane wie Das Fischkonzert, Seelsorge am Gletscher oder Das wiedergefundene Paradies und – Überraschung – trotzdem sind es spannende, delikat humorige Geschichten, voll mit stillen Existenzen und skurrilen Sonderlingen. Ein Bauer sucht das Göttliche bei den Mormonen und findet es am Ende auf seiner heimatlichen Hauswiese wieder, ein Junge hat den „reinen Ton“ in der Kehle, und wir hoffen mit ihm, dass er sich diesen Ton draußen in der Welt und ihrem Kulturbetrieb bewahren kann. Ein Pfarrer schließt seine Kirche am Gletscher zu und hilft den Menschen in seiner Gemeinde, indem er ihre Hausgeräte repariert-Keine lauten Botschaften, Verschmitztheit, Weisheit – das traf nach meiner Auffassung auch den Nerv des Lesepublikums in einer DDR, die ihre besten Zeiten längst hinter sich hatte. Gehe ich von mir aus, so kam hinzu, dass wir alles Skandinavische liebten, das vor der Haustür lag und für die meisten unerreichbar war, von dem wir aber aus Romanen, die durchaus auf der fernen Insel Island spielen durften, etwas erfuhren.Wie schön, dass der Steidl-Verlag pünktlich zur Buchmesse nun eine zwölfbändige Taschenbibliothek mit den wichtigsten Werken des außergewöhnlichen Schriftstellers neu herausgibt – somit ist der Weg frei, dass er in ganz Deutschland neue Leser findet.
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