Lernbehinderungen

Kommentar Brandenburg und der Genozid an den Armeniern

Brandenburg galt bisher als das einzige Bundesland, an dessen Schulen der Völkermord an den Armeniern ausführlich behandelt wurde. Zu Erinnerung: Anfang des 20. Jahrhunderts waren auf dem Gebiet der heutigen Türkei zwischen 600.000 und 1,5 Millionen Menschen armenischer Herkunft von Mitgliedern der nationalistischen Jungtürken-Bewegung ermordet worden. Der frühere brandenburgische Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) hatte 2002 dafür gesorgt, dass dieses Thema - der Genozid an einer verfolgten und verfemten Minderheit - und damit eines der furchtbarsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts in den Lehrplänen auftauchte. Das geschah nicht zuletzt aus Respekt vor dem Potsdamer Theologen und Humanisten Johannes Lepsius, dem viele Armenier ihre Rettung verdankten. Vor diesem Hintergrund lag es nahe, in Brandenburger Schulen speziell auf diese Geschehnisse einzugehen.

Im Januar 2005 allerdings sollte es damit vorbei sein, so schien es zumindest. Aydin Durusay, seines Zeichens türkischer Generalkonsul in Deutschland, hatte verlangt, das missliebige Thema aus dem Unterricht zu verbannen. Ministerpräsident und Vorzeigedemokrat Platzeck (SPD) - als ob er nicht einem Bundesland vorstehe, sondern eine Bananenrepublik unter seiner Fuchtel habe - war bereit, der diplomatischen Intervention Genüge zu tun. Der Genozid als Lehrplanthema wurde selbst Geschichte.

Auch wenn diese blamable Entscheidung mittlerweile kleinlaut zurückgenommen wurde, der Vorgang ist so skandalös wie bezeichnend für eine kleinkalibrige Landespolitik, die sich aus Opportunitätsgründen eilfertiger Geschichtsklitterung nicht versagt. Man fragt sich, welches Souveränitätsverständnis ein Regierungschef hat, dem das Ansinnen eines Konsuls reicht, Lehrpläne umzustoßen. Wie sollen Lehrer ihre Schüler zu Zivilcourage erziehen, wenn die Politik sich dieser Tugend so gern und leichten Herzens entledigt? Und überhaupt: Wie wollen brandenburgische Politiker glaubhaft die Geschichtsverfälschungen rechtsextremer Abgeordneter der DVU im Potsdamer Landtag bekämpfen, wenn sie andere dabei unterstützen, historisch belegte Tatsachen totzuschweigen.

Um den guten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei dienen zu wollen, entschied sich Platzeck für die Devise: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Und damit für jene Untugenden, die in der Geschichte nicht selten den von Menschen verschuldeten Katastrophen und Verbrechen vorausgingen. Kritische Aufarbeitung von Geschichte wird durch ein solches Verhalten zum reinen Lippenbekenntnissen degradiert. Dass Politiker ihrem Glaubwürdigkeitsverlust immer weniger entgegensetzen können, sollte sie nicht wundern.


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