Lesung

Kehrseite II Eine Lesung mit bekannten Schriftstellerinnen. Ein Verleger hält eine kleine Eingangsrede und innerhalb der nächsten zwei Stunden betreten ...

Eine Lesung mit bekannten Schriftstellerinnen. Ein Verleger hält eine kleine Eingangsrede und innerhalb der nächsten zwei Stunden betreten nacheinander vier Schriftstellerinnen die Bühne und verlesen ihre Texte. Roman und ich trinken ebenso viele Biere. Die Schriftstellerinnen auf der Bühne sind schön, zart und alle von Natur aus ein bisschen traurig. Die eine zieht fröstelnd ihr Jäckchen über die Schultern, die andere wippt mit dem Fuß, die dritte streichelt sich ununterbrochen den Arm, die vierte raucht und blickt in die Ferne.

Ach, wenn ich schön wäre, dann könnte ich auch traurig sein. Wahrscheinlich bin ich neidisch. Ja, diese Frauen müssen beschützt werden, beschützt vor solchen Frauen wie mir. Ich bin schon immer ein schlechter Einfluss gewesen. Ich trinke gerne Bier und benutze fürs Ficken so schlimme Ausdrücke wie Ficken. Die Blonde fängt an. Sie schreibt von ihren Füßen, die weiß und barfuß durch den Staub wanderten und dabei doch nur dreckig aussahen. Dann die Rothaarige. Auch sie schreibt von Füßen. Die neuen Schühchen, deren Riemchen am Ferschen so reiben und kleine Steinchen hineinschaufeln. Blut ist im Schuh! Blut ist im Schuh! Die Fußsohle brennt. Lalülala. Dann kommen die Brünetten dran.

Wir hören viele Metaphern, z.B. wie ein TV-Gerät als flimmernder Eichenfurnierrahmen bezeichnet wird, und endlose Beschreibungen, wie ein Junge mit einem mächtigen bleichen Rippenkasten sein im untergehenden Sonnenlicht silbern schillerndes Kaugummipapierchen zerknüllt und in den grünen Mülleimer, der immer schon an der Ecke des Sportplatzes hängt, zielsicher und in hohem Bogen hineinwirft. Zeilenschinderei, sage ich zu meinem Begleiter, das ist reine Zeilenschinderei. Dann ist Pause. Wir holen für jeden noch zwei Biere. Es geht weiter. Mein Begleiter zeigt auf die Füße der Lesenden und sagt: wer solche Stiefel trägt, kann nicht schreiben. Ich ergänze: und nicht ficken. Der Begleiter sagt: Wer nicht ficken kann, kann auch nicht schreiben. Prost. Prost.

Der offizielle Teil der Veranstaltung ist vorbei, jetzt wird nur noch Bier getrunken. An einem Pfosten lehnen der Verleger und die mit den Fickstiefeln. Der Verleger zupft an ihrem Händchen und spricht irgendwas von Sexualität. Jetzt muss ich die Brille abnehmen, genug gesehen. Mein Begleiter findet mich sexy so ohne Brille, behauptet er und küsst mich. Klar, sage ich und umarme ihn, denn ohne Brille mache ich meistens Bewegungen, die so aussehen wie Sex. Stimmt, sagt er, und du machst dabei Geräusche, die sich so anhören wie Sex. Ich will sofort gehen und setze dazu meine Brille wieder auf. Aber auf dem Weg zum Ausgang treffen wir einen Freund und kehren wieder um. Unser Freund ist stark angetrunken und hat seinen ebenso betrunkenen Freund dabei. Ständig ruft er: Der Mohammedaner!, der Mohammedaner! Dann: der Mossad! Der Mossad war´s! ruft unser Freund und malt Hakenkreuze an die Wand. Der Freund unseres Freundes sagt, er fände mich ziemlich sexy. Echt? Aber ich finde dich überhaupt nicht sexy, sage ich zum Freund unseres Freundes. Unser Freund grinst. Mein Begleiter holt noch ein Bier. Ich will gehen. Der Freund unseres Freundes ist beleidigt und fragt unseren Freund, ob der denn mit dem Spiegel-TV-Gesicht, und damit meint er meinen Begleiter, und mir ficken wolle. Unser Bekannter sagt, mit einer von den beiden würde er schon ficken wollen, und lacht. Der Freund unseres Freundes beschimpft meinen Begleiter als Schwuchtel und findet mich total asexuell. Unser Freund fällt vor mir auf die Knie mit den Worten, ob er meine Fesseln anfassen dürfe, und umfasst meine Fesseln. Der Freund unseres Freundes will meinen Begleiter schlagen, aber ich bin dagegen, weshalb wir dann doch gehen. Der Freund unseres Freundes schreit mir hinterher. Das Letzte, was ich von draußen noch hören kann, ist: Schlammfotze.

Ein eigenartiger Tag, sage ich zu meinem Begleiter. Er nickt. Es regnet.

Marion Pfaus wurde 1966 geboren, sie schreibt Texte, macht Filme und Medienkunst. Als the most unknown popstar immer erreichbar unter www.rigoletti.de.


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