Ein Gesetz von 1871 kriminalisiert die Letzte Generation – wer macht mit?

Meinung Die Wohnungen von 11 Klimaaktivist*innen wurden am Dienstagmorgen von der Polizei durchsucht. Wird die Gesellschaft sich jetzt mit der Klimabewegung solidarisieren? Unser Autor hat da so seine Zweifel
Klimaaktivisten der Letzten Generation werden als „Klimaterroristen“ gebrandmarkt
Klimaaktivisten der Letzten Generation werden als „Klimaterroristen“ gebrandmarkt

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Deutschland hat fertig.

Ja, auch ein bisschen mit den Reichsbürger*innen, weil einige von denen einen faschistischen Umsturz samt militärischem Sturm auf den Bundestag geplant hatten. Aber vor allem mit der radikalen Klimabewegung, sprich, mit der Letzten Generation, derzeit der einzig erweitert handlungsfähige Akteur der Bewegung. Denn die nervt, und zwar so richtig hart, weil sie nicht nur den Alltag unserer „Externalisierungsgesellschaft“ stört, sie erinnert uns auch daran, dass wir – massive Transformationsüberlastung durch Corona, Krieg und Energiekrise hin oder her – jetzt nochmal ran müssen, jetzt wirklich unseren gesamten Produktions- und Konsumalltag verändern müssen. Das können, das wollen wir nicht, deswegen nerven Akteure, die uns daran erinnern, denn die machen, dass wir uns schuldig fühlen, gar, dass wir uns schämen. Und das will niemand, also muss das weg. Aus dem Auge, aus dem Sinn, aus dem Gewissen

Über 11 Wohnungen in sieben Bundesländern, in denen sich Aktivist*innen der Letzten Generation aufhalten, werden Dienstagfrüh von der Polizei durchsucht, Laptops und Handys werden mitgenommen. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung, nicht wegen der allgegenwärtigen Autobahnblockaden, sondern wegen der Aktionen der Gruppe gegen die Ölraffinerie Schwedt. Dort hatten die Aktivist*innen der Klimagruppe seit April wiederholt Zuleitungen und Schieber am Zuliefernetz für die Raffinerie zugedreht.

Mit Mitteln aus der Zeit der Sozialistengesetze – der entsprechende Paragraph, 129 StGB, wurde 1871 eingeführt, und damals auch gegen politisch unliebsame Sozialdemokrat*innen eingesetzt sowie in den ersten Jahren der Bundesrepublik gegen Gegner der Wiederaufrüstung und Kommunisten – die die reine Mitgliedschaft in einer Organisation zu einer Straftat machen würden, soll hier der Letzten Generation endlich ein Riegel vorgeschoben, soll eine Linie in den Sand gezogen werden: „Bis hierher, ihr kriminellen Klima-Kleber, und nicht weiter.“

Diese Klimabewegung darf es nicht geben

Die Letzte Generation, deren strategischer Weitblick und taktischer Mut ihr zunehmend Bewunderung (wenngleich nicht unbedingt Zustimmung) in der „Klima Bubble“ verschaffen, geht nun davon aus, dass diese anlaufende Repressionswelle (die nicht auf Razzien beschränkt ist: Bayern und Nordrhein-Westfalen haben schon erheblich verschärfte Polizeiaufgabengesetze am Start, die zum Beispiel in Bayern 30 Tage Vorbeugungshaft möglich machen) zu einer zunehmenden Solidarisierung der Mehrheitsgesellschaft mit der Klimabewegung, mit den „Klima-Klebern“ führen wird. Diese Annahme ist nicht aus der Luft gegriffen, sowohl die indische Unabhängigkeits- als auch die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung vertrauten auf die Kraft staatlicher Repression (heilsam im Sinne von: zeigen, wie scheiße der Staat im Zweifelsfall ist).

Was aber, wenn der Staat hier ganz im Sinne der deutlichen Mehrheit seiner Bürger*innen handelt? Die Eskalation der Reaktionen von Autofahrer*innen auf die friedlichen Blockaden der Letzten Generation deuten hier in dieselbe Richtung wie die sich verhärtende Ablehnung gegenüber den Klimaaktivist*innen, dokumentiert durch Umfragen: der Geduldsfaden einer Verdrängungsgesellschaft, die sich zwar gerne eingeredet hat, Klimachampion zu sein, die aber tatsächlich Braunkohle- und Fossile-Autos-Weltmeister ist, ist gerissen. Eine Klimabewegung, die immer mehr stört und von einer völlig transformationsgetressten Gesellschaft jetzt die große, die wirklich fundamentale Transformation verlangt, die darf es nicht geben.

Deutschland hat fertig mit Klima, und zwar auf lange Sicht.

Die offene Frage ist: Wie reagiert die Klimabewegung?

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