Letzte Ressource Region

Zukunft der Nationalkultur Nicht das Konstrukt Nationalkultur muss man sichern, sondern das Recht auf die eigene Kultur

Was geschieht mit dem Nationalstaat in der Globalisierung? Wie sieht Auswärtige Kulturpolitik in der Zukunft aus? Wenn in dieser Woche das Goethe-Institut, das Auswärtige Amt, die Allianz Kulturstiftung und die Japan Foundation unter Anleitung der amerikanischen Soziologin Saskia Sassen auf der Berliner Museumsinsel über die Zukunft der Nationalkultur diskutieren, dann ist das mehr als überfällig.

Die Handlungsfähigkeit der Nationalstaaten wird in der Globalisierung zwar eingeschränkt, aber selbst im vereinigten Europa bleiben sie zentrale Verteilstelle für soziale Leistungen, sind verantwortlich für innere und äußere Sicherheit, für Bildung und Sprache. Sollte man aber nicht doch besser von Einzelstaaten sprechen? Der Nationalstaat des 19. Jahrhunderts ist tot, die Programme des "Nation Building" in den ehemaligen Kolonialstaaten sind großartig gescheitert. Es steht an, das Nationale herunterzubrechen auf die konkrete Ebene des Einzelstaates, der durch Geschichte und durch aktuelle Migration real meist ein Konglomerat verschiedener ethnisch-kultureller Gruppen ist.

Mit Erstaunen nimmt man auch wahr, dass parallel zur Globalisierung aus deren Dynamik und Krisen eine Aufwertung des Regionalen und Lokalen resultiert: Weil nur zwei bis drei Prozent der Weltbevölkerung an der Migration teilnehmen, und weil Grundstücke ebenso wie Häuser und Wohnungen, wie Äcker und Weiden, wie Hochwasserkatastrophen und Märkte lokal bleiben, verschwindet auch das eigene kulturelle Recht der Region und der Lokalität nicht. Es wird im Gegenteil in den Krisen der Globalisierung zur letzten Ressource, in der "Empowerment" seinen Platz hat. Und Regionen werden auch in Europa grenzüberschreitend zu neuen Akteuren. Nicht das historische Konstrukt einer Nationalkultur gilt es zu sichern, sondern das Recht auf die eigene Kultur.

Vor allen wirtschaftlichen und prestigepolitischen Interessen muss in der Auswärtigen Kulturpolitik in Zukunft der interkulturelle Dialog im Vordergrund stehen - am besten mit europäischen und nicht nur nationalen Kulturinstitutionen im Ausland. Wenn Staaten und Staatengruppen sich immer häufiger kulturell definieren und unterscheiden wollen, wenn Konflikte kulturalisiert werden und wenn die Fähigkeit der interkulturellen Kommunikation immer wichtiger wird, dann wächst auch bei allen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen die Bedeutung des Dialogs. Es ist freilich kein "Dialog der Kulturen", denn Kulturen sind keine Subjekte. In der Praxis treten im interkulturellen Dialog immer nur Menschen unterschiedlicher kultureller, religiöser, traditionaler Prägung in Beziehung, nicht gefangen im Käfig ihrer Kultur, sondern mit eigenen Handlungsspielräumen.

Dass die großen Museen Berlins in die Veranstaltung einbezogen sind, kommt nicht von ungefähr. Sie müssen, will man ihre Rolle nicht einengen, viel mehr sein als nationale "Leuchttürme". Gerade die Berliner Museumsinsel und das geplante Humboldt-Forum im Stadtschloss sind als Zentren des interkulturellen Dialog wichtig. Ihre Sammlungen sind als "mobiles Weltkulturerbe" unersetzbares Kapital für den interkulturellen Dialog: Sie enthalten Zeugnisse, die in den Herkunftsländern oft nicht mehr existieren, und mit Hilfe dieser Sammlungen rekonstruieren außereuropäische Gemeinschaften gern ihre eigene Geschichte.

Unter aktiver Mitwirkung der kulturellen Akteure aus anderen Weltteilen können sie dafür sensibilisieren, dass es keinen einzigen, allgemeingültigen Weg der Entwicklung gibt, und dass deswegen nicht alle Gemeinschaften sich in die gleichen Sackgassen verrennen müssen. Sie helfen über verschiedene Wege von "Fortschritt", "Modernisierung", "Entwicklung" nachzudenken. Und sie lassen erkennen, dass in Vergangenheit und Gegenwart die eigene Lebenswelt unvermeidlich mit anderen global verflochten ist. Ganz falsch ist das Wort Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeiers nicht, der der Auswärtigen Kulturpolitik die Aufgabe zugeschrieben hat, sie solle "helfen zu begreifen, was uns ergreift".

Siehe auch Seite 17

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