Letzte Runde

Brexit-Poker Die Angst vor den Folgen eines EU-Austritts ohne Deal ist Theresa Mays stärkstes Druckmittel
Ausgabe 04/2019
Der Deal bleibt der Deal, für Theresa May kommt nichts anderes infrage
Der Deal bleibt der Deal, für Theresa May kommt nichts anderes infrage

Foto: Jack Taylor/Getty Images

Die wohl krachendste Niederlage seit Parlamentsgedenken hat Theresa May als britische Premierministerin Mitte Januar kassiert – mit 432 gegen 202 Stimmen fegten die Abgeordneten ihren Brexit-Deal vom Tisch. Am vergangenen Montag musste May erneut antreten und dem Unterhaus ihren „Plan B“ erläutern.

Falls sie überhaupt einen Plan B hat, so gelang es ihr gut, dies zu verbergen. May erzählte lang und breit von den vielen netten Gesprächen mit Politikern aller Parteien – auch der Labour Party –, die sie inzwischen geführt hat. Aber der Deal bleibt der Deal, für Theresa May kommt nichts anderes infrage. Für sie steht die Alternative: dieses Abkommen, höchstens mit kleinen Detailveränderungen, oder kein Brexit. Nach wie vor weigert sich May strikt, eine Verschiebung des Austrittstermins oder eine Volksabstimmung über die Art des Ausstiegs auch nur in Erwägung zu ziehen. Labour-Chef Jeremy Corbyn wurde erneut gerügt, weil er mit May nur reden wollte, wenn sie ausdrücklich auf einen ungeregelten Brexit verzichtete – für sie keine Option, denn die wachsende Angst vor den No-Deal-Folgen ist ihr stärkstes Druckmittel.

May will weiter reden, mit allen, in London, in Brüssel. Eine Geste gab es für die etwa 3,5 Millionen EU-Bürger, die teils schon seit Jahrzehnten auf der Insel leben: Ihr Status soll unverändert bleiben, gleich welche Brexit-Variante greift; für ihre Aufenthaltsgenehmigung brauchen sie keine 65 Pfund mehr zu bezahlen.

May bringt dieses Opfer, um so die EU milder zu stimmen. Denn irgendwie will sie das ausgehandelte Abkommen ja doch noch verändern, vor allem die Backstop-Klausel zur Vermeidung einer harten Grenze zwischen Irland und Nordirland, die vielen Brexit-Befürwortern ein Dorn im Auge ist, weil sie den einstweiligen Verbleib Großbritanniens in einer Zollunion mit der EU bedeutet. Brüssel und die Regierungschefs aller 27 EU-Länder aber wollen nicht nachverhandeln. May weigert sich standhaft, das zur Kenntnis zu nehmen. Sie setzt auf die Angst vor dem Chaos und hofft auf Risse in der EU-Einheitsfront. Polens Außenminister Jacek Czaputowicz tat ihr den Gefallen, eine Befristung der Backstop-Regelung auf fünf Jahre vorzuschlagen. Zu wenig für die Brexiteers in der Tory-Fraktion, zu viel für die EU und Irland, dessen Ministerpräsident Leo Varadkar den Vorschlag prompt zurückwies.

Über Mays Plan B, der kein solcher ist, soll am 29. Januar abgestimmt werden – eine erneute Niederlage der Regierung scheint sicher. Bis dahin reden sie weiter, in Brüssel, in der Downing Street, in Westminster. Im Unterhaus legen Abgeordnete reihenweise Ergänzungs- und Verbesserungsanträge vor, um die Blockade aufzulösen, die May herbeimanövriert hat. Bemerkenswert ist der jüngste Antrag der Labour-Fraktion, in dem die Option einer erneuten Volksabstimmung erstmals unterstützt wird. Jeremy Corbyn scheint dem Druck seiner innerparteilichen Kritiker nachzugeben, weil er einsehen muss, dass er Neuwahlen nicht erzwingen kann.

Wer regiert da denn?

Der Regierung wie dem Parlament läuft die Zeit davon. Neue Ideen, Konzepte gar, gibt es nicht. Mehr als freundliche Worte wird May in Brüssel nicht bekommen, sie kann sich die Reisen dorthin sparen. Denn in London ist der Machtkampf zwischen Regierung und Parlament voll entbrannt; das Unterhaus ist dabei, den Kampf zu gewinnen und dank zahlreicher parteiübergreifender Initiativen May die Sache aus der Hand zu nehmen. Wer regiert Britannien? Diese Frage wird gerade neu beantwortet.

Eine große Mehrheit der Abgeordneten ist sich in einem Punkt einig: Sie wollen keinen No-Deal-Ausstieg. Allerdings zeichnete sich bis dato keine Mehrheit für eine Alternative ab. Viele Abgeordnete, wohl die Mehrheit, zeigten sich zuletzt davon überzeugt, dass der Austrittstermin 29. März verschoben werden muss. Im Falle eines solchen Beschlusses des Unterhauses müsste May einen entsprechenden Antrag in Brüssel stellen oder zurücktreten. Das britische Parlament kämpft mit sich und gegen die Regierung May um einen Plan C. Leider hat Labour es unter Corbyns Führung bisher versäumt, eine belastbare Alternative zu entwickeln. Ohne die lässt sich weder eine Wahl noch eine Volksabstimmung gewinnen, noch Brüssel erweichen, einer Verschiebung des Austritts zuzustimmen.

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