Lex Mehmet

KOMMENTAR Sie nannten ihn Mehmet. Er trug ein Basecap auf dem Lockenkopf und sah nicht aus wie ein Verbrecher. Er war erst 13 und hätte schon ein ellenlanges ...

Sie nannten ihn Mehmet. Er trug ein Basecap auf dem Lockenkopf und sah nicht aus wie ein Verbrecher. Er war erst 13 und hätte schon ein ellenlanges Strafregister haben können, doch für die Anklagebank war er dem Gesetz nach zu jung. Er hatte einen türkischen Pass, aber seine Heimat war in Neuperlach, einem Vorort von München. Zwei Wochen nach seinem 14. Geburtstag schlug Mehmet mit Freunden einen 19-Jährigen bewusstlos. Die Justizräder konnten nun endlich anfahren. Mehmet wurde wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr Jugendhaft verurteilt. Doch seine Strafe trat er nie an. Kein Knast. Mehmet wurde in die Türkei abgeschoben.

Wir schrieben das Wahljahr 1998. Mehmet wurde nicht nur in der Türkei ein Fernseh-Star. Die Aufregung war groß. Welchen Sinn sollte das haben, einen Jungen, der gegen die Regeln der deutschen Gesellschaft verstoßen hatte, der besser Bayerisch als Türkisch sprach, einfach rauszuschmeißen? Ein Eingeständnis, dass sich das deutsche System einem Straftäter nicht mehr stellen wollte! Nicht nur die Todesstrafe, auch die Verbannung sollte abgeschafft sein. War es der Strafzweck Resozialisierung, der 1998 wieder einmal zu Grabe getragen wurde? Die SPD warnte vor einem Präzedenzfall, aber mit dem neuen Staatsbürgerrecht sei ein Fall Mehmet nicht mehr möglich.

Kaum drei Tage, bevor das neue Staatsbürgerrecht mit dem Jahrtausendwechsel in Kraft getreten ist, hat nun Herta Däubler-Gmelin gefordert: Ausländische Täter sollten ihre Strafen zu Hause verbüßen. Verurteilt werden sollen sie noch in Deutschland, aber dann geht es ab ins Heimatland. Überfüllte Gefängnisse hatte die Justizministerin dabei im Hinterkopf. Sie krachen tatsächlich aus allen Nähten. Etwas mehr als ein Viertel der Häftlinge haben keinen deutschen Pass. Es ließe sich also wieder Platz schaffen und vor allem: Geld sparen.

Grundlage für eine solche Regelung könnte ein Zusatzprotokoll zum Europaratsübereinkommen zur Überstellung verurteilter Personen (1983) sein, das die Abschiebung auch gegen den Willen des Häftlings erlaubt. 1997 wurde es von 14 Staaten unterzeichnet, bisher aber nur von Mazedonien ratifiziert.

Die Konvention selbst zielt allerdings auf "Strafverbüßung in der eigenen Gesellschaft". Und genau das ist das Problem. Die Mehrzahl der in deutschen Gefängnissen einsitzenden "Ausländer" ist in Deutschland geboren, aufgewachsen und auf die schiefe Bahn geraten. Dass die deutschen Behörden nach Ratifizierung des Abkommens nur Transit-Kriminelle ausweisen werden, ist unwahrscheinlich. Der Fall Mehmet hat genau das Gegenteil bewiesen.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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