Lexikon des Luxussparens: Von Epikur über Biosamen bis Dandy
A-Z Klar müssen wir uns einschränken. Aber auf alles, was Spaß macht, verzichten? Oder den Alltag nur etwas anders angehen: im Wollanzug durch die Wohnung laufen und weniger heizen und guten Kaffee kaufen, aber nicht so viel ... Unser Lexikon
Ataraxie Der Philosoph Lothar Kühne kritisierte einmal einen post-kantianischen Ästhetikansatz mit den Worten: „Ästhetisch wertig (➝ Wohlstandsdandy) ist so das Brot nicht mehr für den Hungrigen, der es kaut, im Speichel löst, schmeckt und im Schlucken sein Hingleiten zum Magen spürt, sondern nur für die bloß anschauende Wahrnehmung des Satten oder des Übersättigten.“ Der „Übersättigte“ aber nähme lieber das „konditorische Kunstwerk Torte“ in den Blick. Epikureisch gesprochen: Wer mit dem ganzen Körper genießt, erreicht immer wieder den Zustand der Ataraxie, der Seelenruhe. Und pausiert glücklich und zufrieden vom Konsumieren. Und Oma sagt: Die Augen sind immer gr
Und Oma sagt: Die Augen sind immer größer als der Magen. Wer nur sie gebraucht und sich verlocken lässt, der kann nicht aufhören. Die Augen schließen und den Körper genießen lassen. Das ist das Geheimnis des lustvollen Sparens. Michael SuckowBBrausepulver Wasser mit Geschmack ist à la mode. Natürlich trägt es einen hipperen Namen, sonst könnte man auch an verrührtes Brausepulver oder einen Sirupaufguss denken. Der Trinktrend nennt sich „Infused Water“, also: „aufgegossenes Wasser“. Dazu nimmt man am besten eine schicke Trinkflasche, die in den Blicken der Öffentlichkeit Bestand hat, und tropft in darin gefülltes Wasser einige Aromatropfen. Die bieten spezielle Firmen an, die mit Natürlichkeit und Gesundheit (➝ Gärtnern) werben. Oft sind die Zusätze mit Vitaminen angereichert. Und selbstverständlich offerieren die Firmen auch Flaschen, die beim Flanieren bestechen. Das Geld für die Tropfen kann man sich sparen. Ein ähnliches Ergebnis lässt sich mit wiederverwendeten Teebeuteln erzielen. Wer es leckerer mag, nimmt neue. Oder versetzt sein Leitungswasser mit Minze, Zitrusfrüchten, Beeren und Rosenblüten. Das ist frisch und gesund. Wer es sprudeliger und süßer will, der rührt einfach Brausepulver ins Getränk, das dann „Infused Wasser“heißt. Tobias PrüwerDDelikatessen Das Wort sagt schon, dass du dir etwas leisten willst und dich gut fühlst, weil du es kannst. Kulinarisches als Distinktionsgewinn: Da kommt Selbstwertgefühl ins Spiel. Hol dir doch das Menü für 180 Euro in irgendeinem Edelschuppen, mit der Hoffnung, dass es dich glücklich macht. Denn nicht darum geht es, den Hunger zu stillen, wie im Märchen vom Schlaraffenland, sondern um das Besondere, das eben seinen Preis hat. Ein Anschein von Luxus soll dir vorgaukeln, du könntest zu jenen gehören, die mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurden. Ist es da nicht eine Frage persönlicher Freiheit, die Nase zu rümpfen angesichts von Preisschneiderei? Das Geschenk von Löwenzahn, Giersch und Bärlauch annehmen im Frühling für Kräuterquark, Salate und Suppen. Und im Herbst sich über jeden Pilz freuen, den man findet. Wenn es zu viele sind, lassen sie sich gebraten auch einfrieren. Zur Delikatesse kann alles werden, was wir dazu bestimmen (➝ Gärtnern). Ein Päckchen Schmalz für 99 Cent habe ich mir eben gekauft. Darin werde ich Zwiebeln anbraten und Äpfel. Lorbeerblätter, Pfefferkörner, Piment und etwas Salz kommen hinzu, haltbar ist es auch. Was ich mir versagte aus Kaloriengründen, leiste ich mir jetzt. Irmtraud GutschkeGGärtnern Einige Investitionen braucht es gerade am Anfang schon: Gute Gemüseerde und Biosamen sollten es sein. Für die Töpfe kann man alte Plastikgefäße zu neuem Leben erwecken. Und das Wichtigste kommt ohnehin meist aus der Natur: Sonne und Wasser. Ansonsten heißt es im doppelten Wortsinne vor allem: warten. Denn die Pflänzchen brauchen Pflege – und die Gärtner:innen Geduld. Nachdem man mit den Händen in der Erde gewühlt hat, darf man getrost den Trieben beim Wachsen zuschauen. Als wäre das nicht schon genug Luxus, kommt am Ende mit etwas Glück auch noch die Ernte. Das spart nicht nur Euro, sondern bereitet unfassbare Gaumenfreuden (➝ Delikatessen). Und spätestens unsere explodierenden Geschmacksnerven lehren uns, dass weniger mehr sein kann und dass schon eine oder zwei der weltbesten Tomaten glücklich machen. Timo ReuterKKneipe Selbst Kneipe spielen spart am Geld, aber nicht an der Gemütlichkeit. Man lädt Freunde zu sich nach Hause ein. Der Stammtisch ist schnell gedeckt. Man kann sich einen sprechenden Namen ausdenken wie „Zum feuchten Eck“. Und dann wird getrunken, Skatkarten und Nüsschen können als Deko dienen. Für die stimmige Geräuschkulisse sorgt Youtube: Dort gibt es stundenlange Videos mit Kneipenhintergrundbeschallung wie Gläserklirren und Gelärme. Spotify hat Kneipenhits auf Liste (➝ Mitgliedschaft). Um die zu ertragen, braucht es Reales. Tobias PrüwerMMitgliedschaft Ein fragwürdiger Luxus, den ich schon wieder wochenlang pflegte: Mitglied im Fitnessstudio sein, aber nie hingehen. Kündigen geht nicht, weil Zweijahresvertrag. Sowieso: Ich habe Rücken und würde am falschen Ende sparen. Freitags gehe ich also wieder hin, zum Pilates. Die Lehrerin aus New York, die uns anschnauzt: „more elegance ladies!!!“, ist die personifizierte Gentrifizierung, also eigentlich Reizfigur. Sie hat mit ihren „um die 60“ jedoch eine Topfigur, das stimmt demütig. Außerdem turnen wir zu Hildegard Knef (➝ Kneipe) oder zu Liedern des wundervollen Komponisten Werner Richard Heymann. Oder zu gutem Soul. Und manchmal singt sie! Es ist herrlich. Ich bin danach glücklich und dusche, natürlich vor Ort. Katharina SchmitzQQualität Nichts ist teurer, als arm zu sein. Dieses Paradoxon habe ich zu oft am eigenen Leib erfahren müssen. Von der Waschmaschine bis zur Unterwäsche. Tief verankert im Prekariat, kaufte ich geradezu reflexartig von dringend benötigten Gebrauchsgegenständen immer erst mal die günstigste Version, nur um ein halbes Jahr später fest zustellen, dass ein Neukauf notwendig ist. So wird man als armer Mensch bei der Stange gehalten, die regelmäßige Rückkehr zum Wühltisch ist garantiert. Wenn du alle halbe Jahre billige Socken kaufst, hast du nach zehn Jahren mehr Geld ausgegeben, als wenn du einmal viel Geld für Socken ausgegeben hättest, die nach zehn Jahren immer noch brauchbar sind. Besonders krass: Schuhe. Wer hat schon 300 Euro oder mehr für Schuhe übrig? Dabei wäre das bestens angelegtes Geld. Auch im Gesundheitswesen sind Reiche gnadenlos privilegiert. Wer reich ist, hat Ausblick auf ein zehn Jahre längeres Leben und kann dazu noch mit seinen handgenähten Budapestern in die Grube fahren. Marc OttikerSStatusfragen Mein Freund Mangold lädt mich manchmal auf einen Espresso ein (➝ Third Wave Coffee): per Privatjet nach Mailand. Doch auch Mangold spart neuerdings, allerdings ganz auf seine Weise: Wir fliegen nicht mehr mit einer Cessna Citation Bravo, sondern mit einer Cessna Citation Mustang. Oder, wie Mangold sie nennt: der sozialistische Schuhlöffel.Auch Mangold möchte ein Zeichen setzen in dieser Welt. Und so zwängt er sich in den für seine körperlichen Wohlstandsdimensionen eher schmal geschnittenen Jet und verzichtet zu Hause darauf, die Kinderzimmer zu stark zu heizen. „Hier, mein Freund“, sagt er und reicht mir ein Exemplar von Alexander von Schönburgs „Die Kunst des stilvollen Verarmens“ (2005). „Könnte neue Weltlektüre werden“, fügt er an und meint: seine Welt. Mangold war schon immer Experte für Sachen, in denen er sich gar nicht auskennt. Anders als Mangold werde ich realitätsnäher sparen und mich wohl von meiner Heizung entfremden – und auf drei Pullover ausweichen müssen. Jan C. BehmannTThird Wave Coffee Meine Jugend war real und popkulturell (Gilmore Girls) umgeben von Frauen, die Kaffee trinken wie andere Wasser. Kaum verwunderlich also, dass ich von der Bohne nicht lassen kann. Blöd nur, dass er meistens, insbesondere in Büros und Mensen, grauenhaft schmeckt. Mit Anfang 20 wurde ich in die Welt des „Third Wave Coffee“ eingeführt: Spezialisierte Cafés importieren die Bohnen von Kleinbauern oder Kooperativen und rösten sie sorgfältig in kleinen Mengen vor Ort, sodass die verschiedenen Kaffeesorten ihr Geschmacksprofil optimal entfalten können. Der Kaffee, der dabei entsteht, ist nicht bitter. Er ist fruchtig, schokoladig, manchmal sogar blumig.Jeden Wochentag schleppe ich meine Bohnen und eine Handmühle in die Redaktion, mahle (zum Amüsement der Kolleg:innen) nach der Mittagspause Kaffee und brühe mir mit einer V60 eine von Hand gefilterte Tasse. Das hat mir an so manchen stressigen Tagen die Laune gerettet. Schon der süßlich-fruchtige Duft schüttet Glückshormone aus (➝ Infused Wasser). Bloß: Dieser Kaffee ist verdammt teuer. Für 200 g zahle ich bei meinem Stammcafé zwölf bis 23 Euro. Und die Inflation trifft auch meinen geliebten Kaffee. Unter 15 Euro die Packung gibt es ihn nicht mehr. Und so wiege ich mir morgens inzwischen nur noch 17 g ab statt der „19 grams“, die meinem Lieblingscafé ihren Namen geben. Eine ganze Tasse mehr kommt so pro Packung raus. Der Kaffee ist zwar ein wenig dünner, aber immer noch der pure Genuss. Alina SahaWWohlstandsdandy Luxus kostet Geld und das wird immer knapper – doch davon lässt sich ein echter Dandy natürlich nicht abschrecken. Der Dandy ist ja eh ein Krisentyp, aufgetaucht im Morgengrauen der Moderne hatte er seine Blüte, als deren Widersprüche sich so verdichtet hatten, dass sie kurz vor der Entladung standen. Und so wirkt seine Nonchalance auch heute umso exaltierter, je kälter es wird. Und das hat sogar Vorteile: bei 18 Grad in der Wohnung hat der Rotwein endlich die richtige Trinktemperatur. Und gute Herrenanzüge sind bekanntlich aus Wolle gemacht, was wärmt mehr? Unter den dünnen Hosen kann man ja lange (Seiden-)Strümpfe tragen. Am Champagner sollte man nicht sparen, aber die Korken eignen sich als rollende, leicht hüpfende Gegenstände ideal als Katzenspielzeug – so gehen Dual-Use-Güter! Die Katze wiederum ist eine praktische Schoßheizung. So kann man es aushalten. Und wenn es hart auf hart kommt, kann man ja zu Drogen greifen. Und ein Buch darüber schreiben. Leander F. BaduraZZahnpastatuben Sie lassen sich nicht nur akribisch von hinten her aufrollen, um die letzten Reste aus ihnen herauszupressen. Man kann sie auch aufschneiden, mit Rasierklingen, Nagelscheren oder was sich sonst im Badezimmer an Schnittigem findet. Aufgewachsen in einem Protestantenhaushalt mit Kriegsgenerationeneltern, -tanten und -onkeln fällt mir gleich Kernseife statt Duschgel ein. Diese zweifelhaften Badezimmerpraktiken bilden aber nur die Spitze des Sparmethoden-Eisbergs vom Resteessen bis zum Geschenkpapierbügeln. Für mich ist Sparen ungefähr so, wie bei Monopoly nicht über Los gehen und nicht 4.000 Mark einziehen. Ich finde Sparen beschissen. Beate Tröger
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.