Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen!

Etikette In der Politik greift die politische Form der Anrede um sich. Das dezimiert inzwischen sogar die Redezeit der Parlamentarier im Bundestag. Muss das wirklich sein?
Ausgabe 13/2013

Es ist eine der Prüfungen, denen sich interessierte Zeitgenossen bei der Beobachtung politischer Dispute ständig ausgesetzt sehen: Dass Redner aller Parteien und Verbände die zahlreichen Hauptwörter in der männlichen und in der weiblichen Ausprägung vorbringen. Da dies längst routinemäßig erfolgt und das Maß an Doppelbenennungen auch einen Umfang erreicht hat, der inzwischen sogar die Redezeit schmälert, behelfen sich viele damit, dass sie bei den weiblichen Formen die letzten beiden Silben, die den Unterschied ausmachen, einfach weglasssen. Also statt „Bürger und Bürgerinnen“ nur „Bürger und Bürger“ oder statt „Arbeiter und Arbeiterinnen“ schlicht „Arbeiter und Arbeiter“.

Die Verdoppelung führt mithin zu einer Verstärkung der männlichen Form. Damit folgt sie der Tendenz, die sich schon darin andeutete, dass entgegen höflicher Umgangsformen bei der Verdoppelung durchweg die männliche vor der weiblichen Form genannt wird, was freilich auch der rhythmischen Schönheit des Ausdrucks geschuldet sein mag oder – im Gegenteil – als Steigerung in der Ansprache verstanden werden kann. Ungeachtet dessen hören viele Menschen – Verdoppelung hier nicht möglich – einem Abgeordneten gar nicht mehr richtig zu, wenn er sich auf solche Weise als Sklave einer Sprachregelung erweist.

Allerdings: Ausnahmen gibt es, unvollständige und vollständige. Gerade bei den Bundestagsdebatten der vergangenen Wochen konnte man registrieren, dass der „Steuerzahler“ fast immer als männlicher erwähnt wurde. Nur Sahra Wagenknecht von der Linkspartei rief ihn, wenn auch nicht konsequent, ein-, zweimal als weiblich auf. Ebenso geht es dem Sparer. Auch der wird fast immer einfach als Mann vorgestellt, nur dann und wann ist von den „Sparern und Sparerinnen“ die Rede. Allein der „Investor“ hat bislang in der öffentlichen Rede sein weibliches Pendant noch nicht gefunden. Wo von ihm gesprochen werden muss, spricht man vom „Investor“.

Was lehrt uns das? Es gibt – wie immer – zwei Möglichkeiten. Entweder alle Politiker, Funktionsträger und Fernsehleute lesen den Freitag und sagen künftig auch „Investorinnen“; „Steuerzahlerinnen“ und „Sparerinnen“ sowieso. Oder es hat sich wieder einmal gezeigt, dass beim Geld die Freundschaft aufhört. Was in die Sphäre des Zahlens gehört, bleibt offenbar männlich. Wie es schon bei Shakespeare als Empfehlung heißt: „Tut mädchenhaft, sagt immer nein und nehmt.“ Da mag es sich nun so verhalten, wie es kaum noch in unsere Zeit passt, aber es entspricht nicht der Intention dieser Sprachregelung. Schade für unsere Zeit.

Jürgen Busche ist Kolumnist des Freitag. Er hat viele Jahre lang vor allem für große Tageszeitungen gearbeitet, darunter Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung. Busche war außerdem Chefredakteur der Wochenpost und der Badischen Zeitung. Er lebt in Berlin.

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