Der Historiker Bogdan Musial hat in der führenden deutschen Zeitschrift der Zeitgeschichte (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte) auf Grund jahrelanger Recherchen in polnischen und russischen Archiven gegen die Zuschreibungen einer ganzen Anzahl von Fotos der Wanderausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944" schwere Einwände erhoben. Er kann zumindest sehr wahrscheinlich machen, dass es sich bei einigen Fotos nicht um von der deutschen Wehrmacht getötete Personen handelt, sondern um ehemalige Häftlinge, die vom NKWD 1941 in den ostpolnischen Gebieten erschossen wurden, weil es nicht möglich war, sie rasch genug vor den vordringenden deutschen Truppen ins Landesinnere zu bringen. Deutsche Soldaten haben diese Leichen zum Teil in Gefängnishöfen gefunden, zum Teil exhumiert und fotografiert. Die Tatsache, dass sie auf einigen Fotos einen Mundschutz gegen Verwesungsgerüche tragen, kann als Bestätigung dieser Zuschreibung angesehen werden. Die Hamburger Ausstellungsmacher haben die Zuschreibungen vermutlich gutgläubig übernommen, soweit es sich um Fotos aus russischen Archiven handelt. Zuweilen haben sie einfach naheliegende Vermutungen angestellt. Irrtümer und zu großes Zutrauen zur Seriosität ihrer Quellen dürften vorliegen. Die Überzeugungskraft der Ausstellung ist aber auf diese Fotos und ihre Unterschriften in keiner Weise angewiesen. Eindeutige Dokumente - Befehle, Berichte von Augenzeugen bestätigen hinreichend die Tatsache, dass führende Offiziere und Einheiten der Wehrmacht an Verbrechen im Osten (die Ausstellung beschränkt sich auf die Zeit nach dem Polenfeldzug) beteiligt waren.
Der Fall Katyn und seine "Benützung" zuerst durch die Nazipropaganda und später durch die sowjetische demonstriert, wie leicht Bildmaterial manipuliert werden kann: Ende Februar 1943 entdeckten Wehrmachtssoldaten in Katyn ein Massengrab mit 4.000 ermordeten polnischen Kriegsgefangenen. Unverzüglich benutzte Goebbels diesen Fund als Beweis für den verbrecherischen Charakter des sowjetischen Regimes. Ausländische Korrespondenten wurden von Berlin aus an den "Tatort" gebracht, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen (und fotografieren zu können). Antinazis miss trauten natürlich dem bekannten "Lügendoktor", und als die Rote Armee das Gebiet zurückerobert hatte, suchte sie Beweise dafür zu erbringen, dass diese polnischen Toten Opfer der Wehrmacht gewesen seien. Erst Jahre nach dem Ende der Sowjetunion gestanden russische Autoritäten ein, dass es sich doch um ein sowjetisches Verbrechen gehandelt hatte. Goebbels hatte zufällig nicht gelogen.
Es ist durchaus denkbar, dass irreführende Bildzuschreibungen in russischen Archiven auch für die von Bogdan Musial jetzt korrigierten Bildunterschriften verantwortlich sind. Vielleicht waren die Hamburger Ausstellungsmacher nicht skeptisch genug im Umgang mit ihren Funden. Auf alle Fälle sollten sie aber jetzt - nachdem begründete Einwände vorliegen - alle fragwürdigen Zuschreibungen und die dazugehörigen Fotos zurückziehen, bis das eine oder andere sich doch noch als authentisches Foto eines Wehrmachtverbrechens herausgestellt hat. Lieber ein Foto weniger, aber dafür alle glaubwürdig.
Pannen wie diese können nur dadurch korrigiert werden, dass die für die Ausstellung Verantwortlichen rasch und selbstkritisch reagieren, nicht durch "hinhaltenden Widerstand" und die Unterstellung böser Absicht beim Kritiker. Was immer die Motive früherer Polemiken gewesen sein mögen, diesmal handelt es sich um einen ernstzunehmenden Einwand. Gerade wer Wert darauf legt, dass die Verdienste dieser Entmythologisierung der "heilen Wehrmacht" anerkannt werden, kann eine überzeugende, rasche Reaktion erwarten. Die jüngsten Erklärungen des Instituts in Hamburg lassen erkennen, daß die Ausstellungsmacher erkannt haben, wie notwendig sachlich fundierte und rasche Antworten auf die fundierten und kritischen Fragen von Bogdan Musial geworden sind.
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