FDP-blockiert Reichensteuer: Deutschland, du Wirtschaftsweisenwunderland!

Meinung Wollten wir die neoliberalen Dogmen wirklich überwinden, bräuchte es dafür die gesammelte Kraft linker Parteien – die könnten sich organisieren, wenn sie denn wollten. Ein Kommentar zur FDP-Blockade der Reichen-Besteuerung
Ausgabe 46/2022
Rechnet für die Reichen: Finanzminister Christian Lindner (FDP)
Rechnet für die Reichen: Finanzminister Christian Lindner (FDP)

Foto: Tobias Schwarz/AFP via Getty Images

Wenn Alexandria Ocasio-Cortez bei einer Gala ein weißes Kleid mit der Aufschrift „tax the rich“ trägt, erhält sie dafür weltweit Aufmerksamkeit. Dennoch ist niemand wirklich überrascht, wenn Linke Reiche besteuern wollen, um der wachsenden Ungleichheit entgegenzuwirken. Es ist nur ein medialer Coup. Wenn nun aber auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage der Bundesregierung, sprich: die „Wirtschaftsweisen“, plötzlich Spitzenverdiener stärker besteuern will, ist das eine Überraschung mit realpolitischer Wirkung.

Der Rat besteht ja nun nicht gerade aus Berufsrevolutionären. Von den fünf Mitgliedern gilt nur einer – Achim Truger – als gewerkschaftsnah. Der Rest fällt nicht wegen Umverteilungslust auf. Doch das Votum für eine zeitweise Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eines Energie-Solis auf Gutverdiener wurde einstimmig getroffen. Begründet wurde das nicht nur mit einer stärkeren Entlastung und Verteilungswirkung, sondern auch damit, dass die Bundesregierung derzeit zu viel Geld ins System schütte und damit die Inflation sogar noch anheize. Man erinnert sich, wir befinden uns in Zeiten des Doppelwumms, in denen die Bundesregierung eben mal so 200 Milliarden für die Abfederung des Gaspreises bereitstellt.

Die FAZ hält den Vorschlag für „irritierend“, Julia Klöckner (CDU) findet ihn „falsch“. Der größte Gegner des Vorschlags aber sitzt im Finanzministerium: Christian Lindner hält unumstößlich an seinem Wahlversprechen fest, keine Steuern erhöhen zu wollen. Nicht einmal temporär, nicht einmal angesichts einer drohenden Rezession und sozialen Krise. Lindner hat nun gerade auch viel zu verlieren, denn bereits die Gaspreisbremse ist ein für die FDP nur schmerzhaft zu ertragender Eingriff in den Markt. Doch während er im Mai dieses Jahres noch warnte, der Staat dürfe jetzt die Inflation nicht durch hohe Ausgaben anheizen, muss er sich jetzt gegen den absoluten Mainstream der Ökonomie selbst richten, weil seine wirtschaftspolitische Ideologie der Realität nicht mehr standhält.

Man muss nämlich eingestehen, dass all die Eingriffe, Schutzschirme und Hilfspakete ja nicht daher rühren, dass der linke Protest so wahnsinnig groß wäre oder SPD und Grüne sich plötzlich politisch durchsetzen würden (obwohl sie wohl könnten). Zur Wahrheit gehört, dass der wirtschaftsliberale Diskurs der letzten Jahrzehnte sich aufgrund der Krisendynamik dreht und wir ein Comeback keynesianischer Einsichten erleben. Und das nicht nur hierzulande, sondern über die Kontinente hinweg und durch alle möglichen Regierungskonstellationen hindurch.

In der Bevölkerung sind eine höhere Besteuerung und auch die Sicherung der Daseinsvorsorge ohnehin attraktiv, insofern gibt es für diese Maßnahmen auch ausreichend Unterstützung. Nur konnten sich Wirtschaftsliberale und Unternehmen lange genug wehren.

Damit ist vorerst Schluss. Auch die FDP wird früher oder später vor der Realität einknicken, genau wie ihre Umfragewerte. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass es damit getan wäre. Tatsächlich bietet sich gerade nur ein Fenster für eine Abkehr von neoliberalen Dogmen. Sie langfristig zu überwinden, bräuchte andere politische Mehrheiten. Dann könnte man auch an die Vermögen ran, die letztlich viel ungerechter verteilt sind als die Einkommen. Und an die Eigentümerstruktur der Versorgung. Da sollten wir uns auf das Votum der Wirtschaftsweisen nicht verlassen.

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