„In Kreuzberg dürfen 35 Prozent der Bevölkerung nicht wählen“
Staatsbürgerschaft Die Berliner Linke-Politikerin Elif Eralp ist entsetzt über die Angriffe von CDU und FDP auf die geplanten Erleichterungen bei der Einbürgerung. Die Abgeordnete hat selbst zwei Pässe und erklärt, was die doppelte Staatsbürgerschaft bringt
Elif Eralp: „Viele Kreuzberger*innen mussten wegziehen, weil sie sich die hohen Mieten nicht mehr leisten können und dürfen aber nicht mitentscheiden, wenn es um die Mietenpolitik geht“
Foto: Sean Gallup/Getty Images
Eigentlich war die Sache klar: SPD, Grüne und FDP wollten die Einbürgerung in Deutschland erleichtern, so steht es im Koalitionsvertrag. Statt nach acht Jahren Aufenthalt soll sie nun schon nach fünf Jahren ermöglicht werden, in bestimmten Fällen schon nach drei. Auch die doppelte Staatsbürgerschaft soll für Nicht-EU-Staatler*innen kommen. Doch Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte ihre Pläne kaum vorgestellt, da schaltete die CDU auf Angriff. Die Berliner Linke-Politikerin Elif Eralp erinnert das an die Debatten der 1990er Jahre.
der Freitag: Frau Eralp, die Union spricht von einer „Verramschung“ der deutschen Staatsbürgerschaft. Wie finden sie solche Aussagen?
Elif Eralp: Aus meiner Sicht fördert man damit eine rassistische E
Elif Eralp: Aus meiner Sicht fördert man damit eine rassistische Erzählung. Weil es weiterhin viele Hürden für die Einbürgerung gibt: Man muss einen Sprachtest erbringen, Einkommensnachweise darlegen, einen Einbürgerungstest absolvieren, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen, man muss Straffreiheit nachweisen.Was sehen Sie kritisch an Einbürgerungstests?Es gibt etliche Umfragen von Deutschen ohne Migrationsgeschichte, die diese Tests nicht bestehen. Die Anforderung eines bestimmten Sprachniveaus ist ebenfalls nicht zielführend und viel zu restriktiv. Auch die Gebühren für eine Einbürgerung sind mit 255 Euro pro Erwachsenem viel zu hoch. Wie man da von einer Verramschung sprechen kann, ist mir wirklich schleierhaft.Gibt es solche Hürden nicht in jedem Land?Nein, in einigen anderen europäischen Ländern wird auf Einbürgerungstests und Sprachnachweise verzichtet, und da sind die Einbürgerungsquoten wesentlich höher. In Deutschland liegt sie bei 2,4 Prozent, in Schweden bei 7,2 Prozent. Und auch in Portugal ist die Quote deutlich höher, dort gibt es keine Einkommensvoraussetzungen. Der Diskurs, den die Angriffe der CDU jetzt aufmachen, stärkt die Rechten und die AfD – und geht völlig an den Tatsachen vorbei.Die Kritik kam ja auch aus der FDP ...Die FPD hat in ihrem eigenen Wahlprogramm das Versprechen für eine erleichterte Einbürgerung festgeschrieben und begibt sich nun auf das Niveau dieser reaktionären Debatte. Mich erinnert es stark an das Ende 1990er Jahre, wo Roland Koch von der CDU die Unterschriftenkampagne gegen den Doppelpass startete. Ich dachte, wir sind schon weiter und bin wirklich entsetzt, dass die Liberalen das mitmachen.Sie unterstützen als Linke also die Pläne der Ampel-Koalition?Wir als Linke sind dafür, dass jeder, der fünf Jahre in Deutschland lebt, sich einbürgern lassen darf. Und Kinder von langfristig in Deutschland lebenden Eltern per Geburt. Das, was die Ampel jetzt vorschlägt, ist weit davon entfernt. Trotzdem: Wir unterstützen die Änderungen, die zu einer erleichterten Einbürgerung führen. Was uns fehlt, ist, dass nicht an die Einkommensvoraussetzung rangegangen wird.Voraussetzung für eine Einbürgerung Erwerbsfähiger ist ein regelmäßiges Einkommen.Genau, und ich kenne Menschen, die als Gastarbeiter*innen hergekommen sind und, vor allem nach der Wende, nie wieder einen Job bekommen haben. Sie leben von Sozialleistungen, deshalb können sie nicht eingebürgert werden. Sie haben dieses Land mit aufgebaut, auch wenn sie jetzt von staatlicher Hilfe abhängig sind. Das ist ungerecht diesen Menschen gegenüber.Nach den Plänen der Bundesregierung sollen auch Kinder ab Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, wenn die Eltern mindestens fünf Jahre unbefristeten Aufenthalt in Deutschland nachweisen können.Früher waren das ja acht Jahre. Das eigentliche Problem ist, dass nach den Plänen der Bundesregierung die Voraussetzung bestehen bleiben soll, dass die Eltern dafür einen unbefristeten Aufenthaltstitel haben müssen. Manchmal dauert es aber viele Jahre, bis man eine solche unbefristete Erlaubnis hat – also länger als fünf Jahre.Gleichzeitig leben viele Menschen schon seit Jahren, teils Jahrzehnten in Deutschland, ohne sich einbürgern zu lassen – obwohl sie könnten. Woran liegt das?Ich kenne das aus meiner Familie: Mein Vater hat sich nie einbürgern lassen, weil er als Geflüchteter aus politischen Gründen weder den türkischen noch den deutschen Pass besaß und das am liebsten beibehalten hätte. Aber das ist eher ein Ausnahmegrund. Die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben eine starke emotionale und familiäre Bindung in ihre Herkunftsländer und empfinden das als Ablegen eines Teils ihrer Identität, wenn sie die Staatsbürgschaft abgeben müssen. Andere haben das Gefühl, sie sind hier eh nicht akzeptiert und anerkannt und haben Hemmungen, den Kampf mit der Bürokratie einzugehen.Die Möglichkeit der Mehrstaatlichkeit würden diese Menschen dann also nutzen?Ich denke, dass die Einführung der Mehrstaatlichkeit für viele Menschen den Zugang zu Rechten in Deutschland ermöglichen wird, wenn sie die Herkunftsstaatlichkeit nicht abgeben müssen. Keinem Deutschen ohne Migrationsgeschichte wird etwas weggenommen, wenn jemand zwei Pässe hat.Placeholder infobox-1Haben Sie zwei Pässe?Ich habe zwei Pässe, und für mich ist das eine Bereicherung. Ein Teil meiner Familie lebt in der Türkei, ich beschäftige mich mit der Politik dort und spreche mit meinen Kindern türkisch. Das ist auch ein Teil von mir, wieso soll ich dann nicht beide Pässe haben?Welche migrantischen Gruppen würden denn von einer Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft profitieren? Menschen, deren Familie aus der Türkei stammen?Ja, aber nicht nur. Auch jüngere Einwanderungsgruppen wie die Syrer*innen, Menschen aus dem Irak und Afghan*innen würden davon profitieren. Aber vor allem die Gastarbeitergeneration ...... für die die Ampelregierung eine erleichterte Form der Einbürgerung vorsieht ...... genau, Sprachtests und Einbürgerungstests soll für diese Gruppe von Menschen ab 67 Jahren wegfallen. Ich glaube, wenn das Gesetz in Kraft tritt, würden sich viele dieser Generation einbürgern lassen.Als migrationspolitische Sprecherin ihrer Fraktion planten sie schon länger, das kommunale Wahlrecht nichtdeutscher Berliner*innen in der Landesverfassung zu verankern. Warum ist Ihnen das wichtig?Ich finde, dass das entkoppelt werden muss von der Staatsbürgerschaft. Wenn ich von Gesetzen und Regierungshandeln betroffen bin, dann muss ich mitentscheiden können. Das hat nichts mit der Staatsbürgerschaft zu tun, sondern mit Teilhabe. Die Linke setzt sich als einzige Partei für das Wahlrecht zusätzlich auf Bundes- und EU-Ebene ein. Das Demokratieprinzip und auch die Menschenwürde sind aus meiner Sicht nur wirklich gewährleistet, wenn alle Menschen, die in einem Gebiet leben, mitbestimmen können.Und das betrifft in Ihrem Wahlkreis in Berlin Kreuzberg besonders viele Menschen.Ja, in Kreuzberg dürfen 35 Prozent der Bevölkerung wegen des fehlenden deutschen Passes nicht wählen, in ganz Berlin sind es 22 Prozent – das darf doch nicht sein. Viele Kreuzberger*innen mussten wegziehen, weil sie sich die hohen Mieten nicht mehr leisten können und dürfen aber nicht mitentscheiden, wenn es um die Mietenpolitik geht. Sie werden in dem Sinne eigentlich nicht repräsentiert. Ich freue mich, dass es mit der Reform der Staatsbürgerschaft weitaus mehr Menschen möglich sein wird, als Deutsche mitzuwählen. Aber es sollte doch für alle anderen ebenfalls möglich sein.Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am Donnerstag ein Landeseinbürgerungszentrum für 2024 angekündigt. Warum ist das notwendig?Weil die Bearbeitungsdauern in den Bezirken sehr unterschiedlich sind. Das liegt zum einen am Personalmangel, manchmal kann es auch schlicht Organisationsversagen sein. Es gibt Bezirke, da dauert es bis zu zwei Jahren, bis man überhaupt eine Entscheidung bekommt. Ich kenne sehr viele Menschen, die in mein Wahlkreisbüro in Friedrichshain-Kreuzberg kommen, die seit über einem Jahr auf einen Termin zur Vorsprache warten. Wir haben den Eindruck, dass dieses dezentrale Bearbeitung zu einer Verfahrensverzögerung führt. Und wollen durch diese Zentralisierung unter einem Dach eine Beschleunigung vornehmen.In Hamburg gibt es solch ein Zentrum bereits.Genau, in Hamburg sind die Verfahren zentralisiert und das führt tatsächlich dazu, dass die Anträge schneller bearbeitet werden.In Berlin planen wir 120 neue Stellen, wir wollen das Zentrum digitalisieren und diskriminierungskritisch aufstellen und die Einbürgerungen so beschleunigen. Im Moment sind es 7000 Einbürgerungen pro Jahr, das Ziel sind 20.000 Einbürgerungen.Die Einbürgerung erleichtert das Leben der betroffenen Menschen ungemein, haben Sie am Donnerstag im Abgeordnetenhaus gesagt. Wie meinen Sie das?Man hat ganz viele Rechte nur, wenn man eingebürgert ist. Sie haben ein sicheres Bleiberecht und können die deutsche Staatsbürgerschaft, im Gegensatz zu einem Aufenthaltstitel, kaum verlieren. Dazu hat man die Freizügigkeit innerhalb der EU und konsularischen Schutz im Ausland. Noch ist es ja so, dass das Wahlrecht und das Recht, gewählt zu werden, ebenfalls an die Staatsbürgerschaft gekoppelt ist.Wird man vielleicht weniger diskriminiert?Die Diskriminierung wird nicht mit der Einbürgerung wegfallen, aber wenn ich eine deutsche Staatsbürgerschaft habe, dann ist es zumindest leichter eine Wohnung zu finden oder einen Kredit abzuschließen, wenn man Geld braucht. Auch der Zugang zum Arbeitsmarkt wird erleichtert. Formal ist das nicht anhängig von der Staatsbürgerschaft, aber es ist häufig so, dass Arbeitgeber Menschen bevorzugen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Und Beamter kann man auch nur werden, wenn man die Staatsbürgerschaft besitzt.
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