Links die Beretta

Zivilisationsmüll Man hört’s am Sound seines „Boogie Man“: Nathan Larson kommt aus Washingtons Hardcore-Szene
Ausgabe 47/2014

Wenn die Zeiten hart sind, müssen wir eben härter werden. So wie Dewey Decimal, der Ex-Elite-Soldat, den US-Autor Nathan Larson in Boogie Man zum zweiten Mal durch den Zivilisationsmüll eines postapokalyptischen New Yorks taumeln lässt. In der Linken die Beretta, in der Rechten eine Flasche Desinfektionsmittel, im Kopf das reinste Tohuwabohu.

Dewey Decimal ist eine traurige Gestalt, einer, der selbst nicht weiß, ob seine Erinnerungen und Albträume authentisch sind oder implantiert. Ein Fake wie sein nom de guerre Dewey Decimal, der sich von einem System zur Organisation von Bibliotheken herleitet. Denn das ist es, was Dewey tut, wenn er nicht gerade dafür sorgt, dass die ohnehin schon stark dezimierte New Yorker Bevölkerung weiter schrumpft: Er sortiert Bücher in der New York Public Library. Früher eines der Wahrzeichen der Stadt, heute, ein paar Jahre nach den Terrorakten von 2/14, ein menschenleeres Monument. Hier pflegt Dewey seine vielen Neurosen, hier versucht er, dem Chaos in seinem Kopf und dem Chaos da draußen etwas entgegenzusetzen: ein paar sorgfältig sortierte Buchmeter, extreme Hygiene, ein schicker Zweireiher von Paul Smith.

Dass die Sehnsucht nach Ordnung ein Symptom von Paranoia darstellt, wissen wir spätestens seit Thomas Pynchon, und Dewey wäre auch in einem Roman des postmodernen Altmeisters bestens aufgehoben, denn: Paranoia ist vielleicht der Geisteszustand, der es uns am besten ermöglicht, in einer zunehmend entropischen Welt zu bestehen. Worin Dewey einiges Geschick entwickelt hat: In 2/14, dem ersten Band der Decimal-Trilogie, überlebte er die mörderischen Ränkespiele einer serbischen Kriegsverbrecherin und entledigte sich seines verräterischen Auftraggebers. Für den District Attorney Daniel Rosenblatt hatte Dewey einige Monate die Drecksarbeit erledigt – heißt: gekillt.

Im New York nach 2/14 haben sich die staatlichen Organe nun endgültig von ihrem eigentlichen Auftrag verabschiedet und sind zu Diebstahl, Erpressung, Mord übergegangen. Dumm für Dewey, dass er dabei beobachtet wurde, wie er das Büro seines Ex-Chefs mit mehreren Akten unterm Arm verlassen hat. Denn das macht einen von Rosenblatts mächtigen Zwangsverbündeten reichlich nervös: Senator Clarence Howard, ein bigotter Machtmensch, der vor vielen Jahren eine koreanische Prosituierte töten ließ. Es hätte sich auf die Pläne des ehrgeizigen Politikers nicht positiv ausgewirkt, wenn bekannt geworden wäre, dass der ach so liebevolle Ehemann ein Kind mit einer blutjungen bezahlten Geliebten hat.

Remember Baudrillard?

Howard setzt Dewey unter Druck und eine halbe Privatarmee auf ihn an, inklusive Hightechsoldaten, Panzer, Kampfhubschrauber. Wer 2/14 kennt, weiß, was Howard erst noch lernen muss: Auf Druck reagiert Dewey gar nicht gut. Wie ein Bastard aus Terminator fräst er sich durch Howards Truppen, stapft unbeirrt Richtung Koreatown und macht sich unterwegs an jeder Straßenecke neue Feinde.

Dewey Decimal, die zerbrochene Kampfmaschine, ist ein willkommener Neuzugang unter den zeitgenössischen Krimihelden, von denen doch allzu viele am Leben müde gewordene Alkoholiker sind, deren Biografien sich so sehr gleichen wie ein Schwedenkrimi dem anderen. Vielleicht hat der frische Sound, den Larson ins Genre wehen lässt, damit zu tun, dass er Quereinsteiger ist, Musiker, der aus Washingtons Post-Hardcore-Szene stammt, wo er bei Shudder To Think die Gitarre spielte. Als Autor hat Larson sein Gespür für Rhythmus ebensowenig verloren wie seine Liebe zu harten Riffs. Und war 2/14 noch eine Verbeugung vor klassischem Noir, drückt Boogie Man deutlich mehr aufs Tempo. So viel Freude hat der Untergang seit den frühen 80ern nicht mehr gemacht, als die atomare Apokalypse beschlossene Sache war (remember Baudrillard?) und man im Kino bei Mad Max oder The Riffs die Angst einfach weglachte.

*Vele - Am Ort des Verbrechens

Tobias Zielony studierte im englischen Newport Dokumentarfotografie, als ihm die Idee kam, Jugendliche in Jogginganzügen aufzunehmen. „Damals, 1999, hatte ich das Gefühl, alle jungen Leute tragen diese Kleidung“, erzählt Zielony. Beim „Guardian“ fragte man: „Was ist jetzt die Geschichte?“ Und Zielony antwortete: „Na, die Jungs, die da rumhängen, nichts zu tun haben und Jogginganzüge tragen.“ Meint: Tobias Zielony ist kein Künstler, der seine Bilder auf eine stereotype Erzählung reduzieren will, auf Arbeitslosigkeit, Gewalt, das Übliche.

Über „Schrumpfende Städte“ (2004) sagt er, er habe für das Projekt in Halle/Saale fotografiert, ohne etwas von den Problemen zu wissen: Zielony findet es spannend, dass man eigentlich nie genau weiß, wo die Bilder aufgenommen wurden. Unser Krimi-Spezial illustrieren Fotografien aus Tobias Zielonys Buch „Vele“ (Spector Books 2014, 576 Seiten, 40 €) über Vele di Scampia, eine Wohnsiedlung im Norden von Neapel. In den 80er Jahren Schauplatz des Camorrakriegs, gehört der Gebäudekomplex heute zu den größten Drogenumschlagplätzen Europas und symbolisiert die Macht der Mafia in der Region.

Marcus Müntefering schreibt unter anderem für das Blog krimi-welt.de

Boogie Man Nathan Larson Andrea Stumpf (Übers.), diaphanes 2014, 288 S., 14,99 €

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