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Exotik der Nähe Das Versprechen, politisch zu sein: Anmerkungen zu "Theater der Welt"

But I`m in it. I`m in the outside of it!" verteidigt sich kritisch-ironisch ein Schauspieler des Improbable Theatre. Man könne sich nicht auf alles konzentrieren, wenn man immer voll drinsteckt. Das ist tröstend für den begierigen Festivaltouristen, der zwischen Bonn, Duisburg, Köln und Düsseldorf hin und her hetzt. Und den Theater der Welt-Rausch sucht. Meistens ist man draußen. Dafür kriegt jeder sein eigenes Programm. Es kann spannend sein, an einer Festivalstrategie zu basteln: möglichst viel sehen, aus und in möglichst vielen Ecken der Welt. Madagaskar. Duisburg-Duissern.

Dass ihm der Begriff "Theater der Welt" nicht geheuer ist, hat Matthias Lilienthal oft betont. Der ehemalige Chefdramaturg der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wollte als diensthabender Programmmacher des diesjährigen Festivals einen Inhalt finden, der weniger nach "Ich bin ein präpotentes westliches Arschloch" klingt. Was die Form anbetrifft, so hat hier die mit veranstaltende Rheinland AG die Eckpfeiler eingerammt - jene vier entlang der Rheinschiene. Wer Nordrhein-Westfalen kennt, wird sich schwer vorstellen können, wie man diesen großen, heterogenen Raum in einem Festival zusammenhalten soll. Es bräuchte wohl drei Tenöre.

Theater der Welt dagegen setzte viel auf charmant Kleinteiliges. Wie die Private Rooms der tanzenden Geschichtenerzählerin Sarah Chase, oder drei argentinische Hausmeister, die ihr Publikum (im Glaskasten) von der Straße her mit Torero Portero bespielten. Keine Mega-Hypes. Wenn es die für die Festival-Stimmung braucht, hat man sich vielleicht verkalkuliert. Andererseits, wer Events suchte: da waren die musiktrunkenen Bakchen von ZT Hollandia in Köln, eine durchwachte Nacht mit Forced Entertainment, Oskaras Korsunovas kindlicher litauischer König Ödipus in Duisburg. Und Luk Perceval mit seiner aufs tragisch Heutige konzentrierten, metaphernstrotzenden, vitalen Lear-Fassung L. King of Pain. Alles drin: Sprachzerfall, Alzheimer - persönliche Pathologie und kulturelle Entropie. Zerrbild eines realistischen Einzelschicksals und zugleich therapiefreie Kulturdiagnose. Die Spielbilanz: Kein Durchkommen in der Düsseldorfer Altstadt um die Ecke - aber kaum ein Drittel besetzter Plätze im Großen Haus des Schauspielhauses. Hier gab es Späße, Musik und Gesang, Handgreifliches für jene, die mehr dem Theater als Spektakel anhängen, einen vielschichtigen Diskussionsbeitrag zu den Wunden unserer Zeit für den nachdenklichen Anspruch. Dort nur Bier. Und parallel nicht mal ein Fußballspiel.

40 Premieren, 160 Aufführungen an zehn Tagen, ein Riesenprogramm mit mehrfachen Überlagerungen. Unvollständigkeit lässt sich nicht vermeiden, man musste gut auswählen. Immerhin hatte jede Stadt ihr kleines Festival. Bei der Verteilung war man geschickt, so ergaben sich schöne Kombinationen. Potemkinsche Dörfer, gespielte Realität, fiktionale Biografien durchzogen das Rheintal überall. Als Patchwork-Phänomen leitete das Fest auf Abwege und erklärte Finten zu Fährten, die zu unabgeschlossenen Einsichten führen. Das sind die ehrlichsten, oder?

Jetzt ist es vorbei. Bunt war`s und fransig. Dezentral sperrig - ein Kompromiss, den man für Entdeckungsreisen zur Exotik des Naheliegenden nutzen konnte. So bot Theater der Welt zwar keine Chance für einen handelsüblichen Überblick, dafür aber die Gelegenheit für eine Menge Schnappschüsse. Verwirrung und Überschuss wurden zum kreativen Prinzip, Unabgeschlossenheit und Verweigerung zum politischen - die "Kraft der Negation" eben, die das thematische Wochenende beschwor. Um Agitation ging`s nicht, obwohl Schlingensiefs FDP-Aktion die höchsten Wellen geschlagen hat, sondern darum, die Sehschärfe neu einzustellen. Und siehe da: Es gibt viele Einstellungen. Was für ein langweiliges Theater zum Beispiel die Politik ist, wenn man sie sich als Bundestagsdebatten-Karaoke näher ansieht (Deutschland 2 von Rimini Protokoll). Theater als Problem der optischen Verschiebung. Oder wie die begleitende Ausstellung im Museum Ludwig versichert: I promise it`s political. Das Ganze war als Angebot zu verstehen und das war das Ziel, nicht der Frieden nach dem Karneval. Wer also Kritik anzumelden hat, dürfte willkommen sein. Man will ja niemandem vorschreiben, was Theater oder Welt ist.

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