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Weniger Öko-Visionär Gerhard Schröder?

Gerhard Schröder gibt sich gern als Macher. Utopien sind ihm eher abhold. Er packt die Dinge so an, wie sie ihm vor die Füße fallen, rückt sie auf den nächstliegendsten Platz und ruft: What´s next? Zwar bastelte der Helmut-Schmidt-Bewunderer vor der Wahl mit Hilfe des sozialdemokratischen Stehaufmännchens Günter Grass eifrig an einer Kontinuitätslinie zu seinem legendären Vorgänger Willy Brandt. Doch an die intellektuelle Statur des grüblerischen Exilanten aus Lübeck, dem Vater der Ostpolitik und Moderator des Nord-Süd-Konflikts, reichte der atemberaubend langweilige Rhetor Schröder nie heran. Auch die verquollene Mackerriege von Manfred Bissinger über Wolfgang Niedecken bis zu Burkhard Driest, die sich am Wahlabend um den Kanzler drängelte, wirkte nicht gerade wie das Personal für eine zeitgemäße Intellektuellenrepublik. Und zwar nicht nur, weil ein Ingeborg Bachmann-Pendant fehlte. Über den Tag hinaus - so ein Buchtitel Willy Brandts - denkt der dritte sozialdemokratische Kanzler auch nicht gern, der von sich selber sagt, er habe "nie gern gelesen". Im seinem Amt beschäftigt er sogar eigens einen Chefdenker, der jeden Verdacht auf neue Visionen zielstrebig zerstreuen soll.

Nach dem Zeitalter der großen Ideologien ist da gewiss etwas dran. Doch wenn die zurückliegenden Natur-Katastrophen etwas gezeigt haben, dann, dass es für die nächsten Jahre eine Kultur-Revolution bräuchte, die über den Ausbau von Sandsackbarrikaden hinausreicht. Bundesverkehrs- und Bauminister Kurt Bodewig sprach vor ein paar Wochen von dem "flussnahen" Rückbau der Elbe. Von Amts wegen zur Beschleunigung und Landschaftsversiegelung verdammt, schien ihm zu dämmern, dass die Praxis, "die Natur" (die natürlich schon lange keine mehr ist) nach den Kriterien wirtschaftlicher Effizienz umzubauen, sozusagen an eine "natürliche" Grenze gestoßen ist. Nun soll die Natur der Zivilisation die Richtung angeben. Wie weit der Schock den Umschwung vorantreiben wird, muss sich noch zeigen. Denn bislang hatte Gerhard Schröder noch jeden Fortschritt in Sachen Ökologie so gestreckt wie den Atomausstieg. Die erneuerbaren Energien wurden zwar gefördert. Doch von einem radikalen Umbau der Energiewirtschaft ist nicht die Rede. SPD-Interpreten einer grundlegenden Wende zur Erd- und Sonnenpolitik wie Hermann Scheer, Michael Müller oder Ernst Ulrich von Weizsäcker erfreuten sich bislang nicht unbedingt der Gunst des Hannoveraner Autokönigs.

Erst zwei Katastrophen haben den Kanzler zu einem Kurswechsel bewogen, der trotz aller opportunistischen Hintergedanken elektrisierend wirkte. Frieden und Ökologie waren die zwei Plakate, mit denen der sonst so wirtschaftsselige Kanzler vor sein Publikum trat. Plötzlich schwammen alle wieder auf den Kernvokabeln, aus denen die rot-grüne Volksbewegung überhaupt erst entstanden ist, die inzwischen so parlamentarisch verknöchert wirkt. Die Militanz, mit der der Gärtner der Neuen Mitte diese Punkte plötzlich verfocht, wirkten nicht nur geschauspielert. Schröders Gesicht beim Besuch in den Flutgebieten Ost zeigte eine Erschütterung, die tiefer zu reichen schien. Und auch in seinen letzten Monaten als SPD-Vorsitzender schien dem schicken Postideologen, der gern seine verhärmte Partei verhohnepipelte, zu dämmern, dass das historische Amt, in dem er sich nach Lafontaines Abgang über Nacht wiederfand, womöglich doch mehr bedeutet als nur ein schönes Faustpfand für Machtspielchen.

Was wird aus dem halbherzigen Umschwung werden? Der sozial-ökologische Paradigmenwechsel muss mehr sein als Symptompfuscherei. Die paar Ökoreformen der Koalition bislang kommen einem vor wie die "Helioflex"-Sonnenspiegel, mit denen ein Künstler die verschatteten Berliner Hinterhöfe aufhellen möchte. Werden selbst sie in den Haushaltslöchern verschwinden? Die knappen Kassen, die Rot-Grün jetzt verwalten muss, sind nicht nur eine Hypothek für das wacklige Reformprojekt. Sie wären eine Chance über andere Wohlstandsmodelle nachzudenken. Aber schon rufen alle Koalitionäre wieder nach einem kräftigen Schluck aus der Wachstumspulle. Und die Steinkohlesubventionen will Schröder den Genossen in NRW auch weiter zahlen.

Weniger, aber besser - das Motto des postindustriellen Designs, könnte eine kulturelle Leitlinie für die nächsten Jahre sein. Bislang war der Kanzler der Notar des Projekts rot-grün. Sein Visionär muss er erst noch werden.

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