Linkspartei: Wer ist eigentlich Martin Schirdewan?
Die Linke Seit Juni führt er mit Janine Wissler die Linkspartei, politisch gearbeitet hat er bisher aber vor allem in Brüssel und Straßburg: Martin Schirdewan kann dabei einige Erfolge vorweisen. Gelingt es ihm, seine Partei zusammenzuschweißen?
Die Eliten in Europa sollten sich warm anziehen, sagt er. Die Linke arbeite an einem breiten Bündnis, das die Klassenfrage laut stellen will
Foto: IPON/Imago
Für linke Politiker ist das Europaparlament kein leichtes Pflaster. Seit Jahrzehnten geben Konservative und Marktliberale den Ton an. Nur selten können sich Linke ein wenig Gehör verschaffen. Sahra Wagenknecht hat es geschafft, die Brüsseler Blase zu durchbrechen. Fabio De Masi hat sogar den früheren Kommissionschef Jean-Claude Juncker herausgefordert. Aber Martin Schirdewan?
Als der promovierte Politikwissenschaftler im November 2017 überraschend den Sitz von De Masi in der Straßburger Kammer übernimmt, ahnt niemand, dass er einmal eine linke Leitfigur werden würde. „Das hätte ich vor fünf Jahren selbst noch nicht geglaubt“, räumt der Ostberliner mit Zweitwohnung im Brüsseler Szene-Stadtteil Saint-Gilles ein.
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aubt“, räumt der Ostberliner mit Zweitwohnung im Brüsseler Szene-Stadtteil Saint-Gilles ein.Bei seinem Start kannten ihn nur Insider aus dem Europabüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das Schirdewan seit 2015 leitete. Er wolle die Themen seines Amtsvorgängers De Masi – Finanzkriminalität und Steuerflucht – beackern, sagte er damals. Aber die Linkspartei führen, sie gar vor dem drohenden Zerfall retten? Davon hat er wohl nicht einmal geträumt. Es ist aber auch nichts, was ihm Angst macht. „Ich schaff das schon“, sagt er augenzwinkernd. Gemeinsam mit Janine Wissler, der Co-Vorsitzenden, habe die Linke „ein richtig gutes Team, wir sind das neue Powerduo“. Als dieser Satz fällt, hat Wagenknecht ihre berühmt-berüchtigte Bundestagsrede am 8. September noch nicht gehalten. Der Wirtschaftskrieg ist noch kein Thema, der linke Rosenkrieg noch nicht wieder entbrannt.Schirdewan strotzt noch vor Selbstbewusstsein. Der Spagat zwischen Berlin und Brüssel, zwischen deutscher und europäischer Linker sei kein Problem, im Gegenteil: „Ich habe viel gelernt von unseren Schwesterparteien. Ich will erfolgreiche Strategien aus Europa in der deutschen Linken verankern“, sagt er.Martin Schirdewan hat die Linke im Europaparlament geeintSeine erste Mission im Europaparlament war es, die Genossen aus Frankreich, Spanien und Griechenland zusammenzubringen. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, wie wenig die griechische Syriza, LFI aus Frankreich und Podemos aus Spanien gemein haben. Schirdewan hat diese „mission impossible“ erstaunlich gut bewältigt. Mit der Französin Manon Aubry hat er die Fraktion auf Vordermann gebracht, ihr ein neues Image verpasst. „Wir haben aus einer kunterbunten Truppe eine schlagkräftige Gruppe gemacht“, sagt er zufrieden. „Obwohl wir die kleinste Fraktion sind, sind wir heute relevante Player im Parlament.“Mit Sozialdemokraten und Grünen ist The Left – so heißen Partei und Fraktion heute – im Gespräch, gelegentlich stimmt man sogar gemeinsam ab. Für die Forderung nach einer Freigabe der Patente auf Corona-Impfstoffe fand die Linke sogar eine Mehrheit – gegen die Konservativen und ihre Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das hindert Schirdewan nicht, sich regelmäßig mit der CDU-Politikerin zu treffen und die EU-Agenda abzustecken. „Ich bin kein Europagegner. Ich will ein anderes Europa, eine andere EU“, sagt er. Mit von der Leyen sei das nicht zu machen. Doch mit ihr reden müsse man schon – die EU sei der Ort, an dem zentrale Entscheidungen fallen. Und da müsse die Linke dabei sein.Das klingt pragmatisch, das soll es auch sein. Schirdewan eifert Bodo Ramelow nach, „dem besten Ministerpräsidenten in Deutschland“. Aber er hat auch seinen Gramsci gelesen. Es geht nicht nur darum, in Brüssel dicke Bretter zu bohren – der Linken-Chef will um die Hegemonie in Europa kämpfen. Dabei hat er, das räumen sogar Gegner ein, schon einige Erfolge erzielt. So deckte Schirdewan auf, wie hartnäckig die EU-Kommission dafür eintrat, das gesetzliche Renteneintrittsalter anzuheben und die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung zu kürzen. Mit seiner Studie „Überwachen und Strafen“ brachte er von der Leyen in Erklärungsnot – kurz vor der Corona-Pandemie.Für den Systemwandel in der EnergiepolitikEin Volltreffer war auch ein Papier zur Energiepolitik, das die Links-Fraktion im vergangenen März vorlegte. Zu einer Zeit, als die EU-Kommission noch vehement den liberalisierten Energiemarkt verteidigte, wollte die Linke schon einen Systemwechsel und eine Übergewinn-Steuer, damals eine ungeheuerliche Forderung. „Der Markt regelt einen Scheiß, das sehen wir ja gerade in der Energiekrise“, sagt Schirdewan im Rückblick. Mit dem Positionspapier sei es gelungen, von der Leyen vor sich herzutreiben und die Durchsetzungsfähigkeit linker Politik zu beweisen. Plötzlich ist auch die EU-Kommission dafür, Gewinne am Energiemarkt abzuschöpfen und an die Ärmsten zu verteilen. Robin Hood hat Hochkonjunktur.Ob das der Linken nutzt, bleibt abzuwarten. Schirdewan hofft auf einen „heißen Herbst“ – und auf die Europawahl 2024, bei der die Linke auch in Deutschland wieder zulegen könnte. Man sei mitten in der ersten Phase der Mobilisierung, es gehe um ein breites Bündnis mit Gewerkschaften, Klimabewegung und Mietervereinen. Aber da komme noch mehr. Was das sein wird, will der coole Stratege aus dem Europaparlament noch nicht verraten. Es gehe um eine klare Kampfansage an die Eliten, in den europäischen Kommandohöhen solle man sich schon mal warm anziehen. Klingt nach Klassenkampf – und ja, Martin Schirdewan will über die Klassenfrage sprechen, schließlich sei die Klimafrage auch eine Klassenfrage.Zunächst muss der 47-jährige EU-Politiker den Kampf in den eigenen Reihen beenden und seine Truppen beisammenhalten. „Das Zusammenführen ist natürlich herausfordernd“, räumt er ein. „Aber wir schaffen das schon, wenn Gemeinsamkeiten in den Vordergrund gestellt werden.“ Es klingt nicht mehr so optimistisch wie Anfang September, bei unserem ersten Gespräch. Wagenknecht und De Masi, seine großen Vorbilder im Europaparlament, sind seitdem von der Stange gegangen. Es ist einsam geworden um den Linken-Führer in Brüssel.
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