Liebling Kreuzberg

Literatur „Ich sammle mein Leben zusammen“: Manfred Krugs Tagebücher sind etwas eitel, aber nie gefühlig
Ausgabe 07/2022
Manfred Krug im Berliner Zoo, 1985
Manfred Krug im Berliner Zoo, 1985

Foto: Rolf Hayo/IMAGO

Auweia. Wenn die Ehefrau spontan die kleine, neben der gemeinsamen Wohnung gelegene Werkstattwohnung des höchst prominenten Gemahls betritt und da dessen Geliebte antrifft, könnte das ein guter Grund sein, wieder mit dem Schreiben eines Tagebuchs zu beginnen. Und sei es nur, um der Ehefrau wenigstens in dieser Form den amourösen Ausflug zu gestehen. Zumal sich die eben erst geschlüpfte Tochter aus der Verbindung in dem Zimmer neben der jungen Mutter befindet. So geschehen im Januar 1996 zu Berlin und von Manfred Krug dann tatsächlich zu Papier gebracht.

Die Nonchalance, mit der Krug gerade hier einsteigt und mit der er erzählt, zieht sich dann, mal erfrischender, mal weniger, durch das ganze Buch. Krugs wichtigstes Buch Abgehauen steht kurz vor der Veröffentlichung, der beste Freund Jurek Becker ist bereits erkrankt und der Haussegen, der nun eigentlich extrem schief hängen müsste, gerät durch die Gleichmut Ottilie Krugs im Laufe der beschriebenen zwei Jahre höchstens so weit aus dem Lot wie das Bauwerk in Pisa.

Manfred Krug ist zu dem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Dreimal im Jahr erreicht sein Hamburger Tatort-Kommissar Stöver höchste Einschaltquoten (die für Krug erstaunliche Wichtigkeit haben), mit Liebling Kreuzberg hat er mit Jurek Becker zusammen einen vielgeliebten Seriencharakter erschaffen. Durch die Werbeblöcke flimmert Krug als Telekom-Maskottchen und Werbeträger anderer Konzerne. In dem Tagebuch nehmen die dafür notwendigen Besprechungen mit „kretinösen“ TV-Verantwortlichen und Werbefritzen einen großen Raum ein und es überrascht, wie viel er selber inhaltlich zu den Spots und Drehbüchern beisteuert. Auch die neuen Liebling-Drehbücher von Jurek Becker werden gnadenlos zerpflückt.

Zwischen dem Freund Manfred Krug und dem Hauptdarsteller gibt es eine klare Trennung. Hier lebenslange Zärtlichkeit, dort kritische Professionalität. Gerade der vordergründig hemdsärmlige Umgang Krugs mit der Krankheit des Vertrauten, bei dem 1995 Krebs diagnostiziert wird, lässt erahnen, wie groß die Zuneigung gewesen sein muss. Da schützt sich ein im Grunde hochsensibles Wesen mit Distanziertheit vor dem Abgrund des Schmerzes. Auf der Gedenkveranstaltung zu Ehren des Freundes lassen sich die Tränen dann nicht mehr zurückhalten. Mit der Veröffentlichung der Postkarten Jurek Beckers Neuigkeiten an Manfred Krug & Otti wird dann 1997 ein wunderschöner Ausdruck dieser Freundschaft in die Welt gesetzt. Ansonsten plätschert das alles etwas dahin. Wir blicken in das Leben eines von Erfolg und Prominenz gelangweilten Stars.

Ein Elefant mit Grazie

An einem Drehort im alten Polizeipräsidium an der Keibelstraße beim Alexanderplatz erinnert sich Krug dann urplötzlich an die eigene viertägige Inhaftierung als junger Habenichts in den 1950er-Jahren ebendort. In der schnörkellosen und damit umso eindringlicheren Beschreibung der Umstände dieser Episode findet der Text zu sich. Krug schüttelt die geradezu absurden Details dieser Geschichte genauso leichtfüßig aus dem Ärmel, wie er seine Chansons einspielte und wie er alle seine Charaktere auf unnachahmliche Weise verkörperte. Ein kleiner Elefant, der mit Grazie über ein Seil schlendert. Am 30.6.97 droht das Seil aber zu reißen. Manfred Krug erleidet einen Schlaganfall.

Mit der beachtlicherweise bereits ein halbes Jahr später notierten Beschreibung dieser Heimsuchung und der langsamen Rekonvaleszenz wird das Tagebuch dann endgültig zu einem beeindruckenden Zeugnis eines großen Talents. Auf alles, was mit Sprache zu tun hat, ob Texte, Gesang oder das Schreiben selbst, hat dieser Charakterkopf, der dieser Tage 85 Jahre geworden wäre, offenbar einen so unverkrampften Zugriff, dass es ihm gelingt, eindringlich noch die größte melancholische Anwandlung zu beschreiben. Etwa über den Verlust der Lebenskraft, der Jugend und des besten Freundes. Und das ohne jede Larmoyanz oder falsche Gefühligkeit.

Info

Ich sammle mein Leben zusammen – Tagebücher 1996 – 1997 Manfred Krug Krista Maria Schädlich (Hrsg.), Kanon-Verlag Berlin 2022, 367 S., 22 €

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden