Live-Schalte nach Troja

Aktualität als Strohfeuer Wolfgang Engel inszeniert Shakespeares "Troilus und Cressida" in Leipzig

Unser Mann in Bagdad ist wieder auf Posten. Kamera läuft, Stephan Kloss macht sein bedrücktes Gesicht und weiß nichts Genaues. Die Szene sei Troja, meldet der Reporter, die Griechen stünden vor den Toren der Stadt, und er sei hier "embedded". Mächtige Explosionen untermalen den Bericht. Bildschirme flackern im Dutzend und schicken den grellen Kitzel um die Welt: Krieg um eine Sexbombe! Das war´s dann fürs Erste; wir sehen den Mann nicht wieder, ein Heckenschütze hat ihn wohl erledigt. Friendly Fire einer Bildregie, die unbekümmert ihren nächsten Geistesblitz verbraten will.

Helena ist hier ein superblondes Pin-Up im Spind der trojanischen Soldaten. Selten gab es einen schlechteren Grund fürs Schlachten und einen griffigeren. Mit den vielfältigen Motiven der USA, 2003 den Irak anzugreifen, sollte man die Geschichte der geraubten Schönen nicht verrechnen. Aber auch der jüngste, hochtechnisierte Krieg bietet noch romantischen Stoff. Man denke an die hübsche Gefreite Jessica Lynch, die in einer spektakulären Kommandoaktion der Amerikaner befreit wurde. Hat Hollywood sie nicht schon an der Angel? War nicht die Rettung aus Feindeshand schon pures Melodram? Vielleicht hat Wolfgang Engel also Recht, wenn er Shakespeares Troilus und Cressida in Leipzig einen pathetisch tönenden Filmabspann gibt: Krieg als Kino an der Heimatfront.

Die getürmten Fernseher zeigen Al-Dschasira, irakisches Staatsfernsehen, CNN, Talkshows und harmlose Barden mit Gitarre. Das Stimmengewirr bleibt diffus. Es gibt keine Bilder von der Front, nur ein nie versiegendes Wir-bleiben-dran. Als der müde Infanterist Troilus, heimgekehrt vom Kampf, den "krächzenden Trompeten" zu schweigen befiehlt, knallt ein alberner Jingle der Hot News in die Szene. Nachrichten von unseren Jungs, Feldpost gegen die zersetzte Wehrkraft auf beiden Seiten. Ein Bild später sind wir eingebettet in die Duschkabine der trojanischen Helden. Wir sehen Muskeln, Bäuche und Tattoos. Großen Dank der Kamera, die uns den Krieg heranzoomt! Oder das, was die Zensur zulässt.

Wie ein junger Wilder hantiert Engel mit Kamera und Bildschirm, aber die anfangs furiose Aktualisierung ist ein Strohfeuer. Wollte der Regisseur das Thema Manipulation verhandeln, er dürfte die Technik nicht auf so denkbar simple Weise einsetzen. Die Kamera taugt ihm nur zur Verdopplung des Geschehens oder zur Mauerschau, etwa wenn sie den betrunkenen GI´s zur Party mit Bauchtänzerin folgt. Hektors Forderung zum Zweikampf wird per Videokassette übermittelt, Cressida erlebt das Defilée der Trojaner vor der Leinwand, und der gehörnte Menelaus, eine arme Sau im Wüstensand, kann seine entführte Helena nur auf dem Bildschirm streicheln.

Zwar wird angedeutet, dass die Übertragung abbricht, wenn die recht läppischen Griechenhelden (also die Amerikaner) auf der Pressekonferenz strategische Differenzen austragen. Doch solche Ansätze lässt Engel versanden. Die Bildschirme bleiben meistens schwarz. In punkto Aufmerksamkeitsökonomie mag das klug sein, mit dem Alltag der Nachrichtenkanäle hat das nichts zu tun. Die Fragen liegen auf der Hand: Was wird ausgeblendet, verfälscht, konstruiert? Wo lügen die Bilder, während die Bühne uns die Wahrheit zeigen könnte?

Der Ehrgeiz dieser Inszenierung ist viel schmaler. Sie weicht auf medienkritische Gags aus, die sich in Hohn erschöpfen: "Ich höre gerade, wir haben eine Live-Schalte nach Troja." Die Parodien einer Nachrichtensendung sind militärischer Rapport, kein geschmeidiges Infotainment und übrigens so miserabel produziert, dass man Krankenhausfernsehen zu erdulden glaubt. Die Sendung Galant (als Mischung aus Gala und Brisant) berichtet vom "Kulturtag bei Königs in Troja" und begleitet Helena in die Oper Leipzig, die dort vermutlich Berlioz´ Troyens genießen will. Eine Regie macht Schnappschüsse, aus denen so viel zu entwickeln wäre: Siegreiche junge Griechen-Amerikaner fläzen sich in den Sesseln des Präsidentenpalastes. Ja, das mag schon passen, andere Übertragungen sind schiefer. Aber interessant wäre zu erfahren, was die Fernseher zeigen, wenn die Schlacht entbrennt.

Das wird im Finale schlicht vergessen. Auf der Bühne (vorne Arenasand, hinten Leere) begnügt man sich mit herzhaftem Ringkampf und sauber choreografiertem Stockfechten. Das ist bald genauso steinzeitlich wie die Monumentalfilm-Trojaner, die es anfangs in der Flimmerkiste gibt. Auch wenn alle Soldaten, farblich minimal nuanciert, in heutigen Kampfanzügen und Knobelbechern stecken. Im Getümmel lassen sie sich gar nicht mehr unterscheiden. Krieg, der große Gleichmacher: Was gilt die Erkenntnis von der "asymmetrischen Kriegsführung" zwischen Supermacht und Selbstmordattentätern?

So schwenkt Engels Stadttheater routiniert ins Allgemeinste, nämlich dass Krieg die Männer brutalisiert, Hass züchtet, Liebe zerstört und dabei prickelnde Unterhaltung liefert. Wer das viel versprechende Kamera-Gefuchtel zwischendurch vergessen kann, wird sich der zeitlosen Düsternis des Stückes nicht entziehen können: Wie Cressida als Kriegsbeute der Griechen zur Lagerhure gemacht wird, wie die Soldaten ihren Blutrausch ausleben, wie Hektor schließlich seinen Frieden findet, vielfach durchbohrt von den Lanzen der Griechen. Ohnehin stapeln sich am Ende die vielen toten war pigs zum Massengrab. Das Theater behauptet, den Schrecken sichtbar zu machen, anders als Plapper-TV und sanft eingebettete Reporter. Das könnte stimmen. Gedankliche Schärfe steht auf einem anderen Blatt.

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