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Linksbündig Die Kirchen erheben Anspruch aufs Wertemonopol

Ein Klischee geht um in Deutschland! Nein, es handelt sich nicht um den gerade durch unser Land gegeisterten Papst Benedikt mit seinem Auftreten, seinen Gesten, Körperhaltungen, Formulierungen. Es ist vielmehr ein - durchaus päpstlich abgesegnetes - gedankliches Klischee, die Vorstellung nämlich, dass die Werte in unserer Gesellschaft, jedenfalls die relevanten unter ihnen, aus den Religionen stammten - insbesondere den christlichen - und dass sie insofern von ihnen auch zu hüten und zu vermitteln seien. Zeitgleich mit der Papst-Euphorie der letzten Wochen und Monate wurde diese These ja vor allem im Rahmen der Debatte um den geplanten neuen Werte-Unterricht in Berlin von Seiten der Kirchenoberen wie auch einiger christlicher PolitikerInnen verfochten. So schwang sich etwa der protestantische Landesbischof Huber zu der These auf, Werte beziehungsweise Ethik ließen sich überhaupt nur auf der Basis von Religion entwickeln - und diskriminierte damit all jene Mitglieder der Gesellschaft, die doch häufig zu Recht davon ausgehen, dass auch ihre religionsfrei erworbenen Werte ernst zu nehmende ethische Überzeugungen darstellen.

Der Glaube an den Alleinvertretungsanspruch in Sachen Werte und Wertevermittlung mag aus der Perspektive der Religionen verständlich sein, handelt es sich doch um ihre eigenen Werte und insofern bei dieser Behauptung um eine schlichte Tautologie: Unsere Werte können wir am besten vertreten! Doch bei einigermaßen klarem, religiös nicht verzaubertem Blick, wird man sehr schnell mit dem Philosophen Nida-Rümelin oder dem Publizisten Christian Semler zu der Feststellung gelangen: "Werte stammen aus dem Diesseits." In diesem Zusammenhang muss man darauf hinweisen, dass die für uns maßgeblichen Werte wie Toleranz, Respekt, Verständnis, Gewaltfreiheit durchaus nicht in religiösen Kontexten entstanden sind. In geistesgeschichtlicher Hinsicht wurzeln sie vielmehr vor allem in der Aufklärung, in soziologischer Hinsicht vornehmlich in den Erfordernissen moderner Gesellschaften. Die Religionen waren hier, wie man weiß, nicht immer hilfreich, sondern oft genug hinderlich, und viele der heute wichtigen Werte mussten gegen sie etabliert werden. Da sind nicht nur die Missachtung von Homosexualität und die Geschlechterdiskriminierung zu nennen. Auch was das Verstehen und Akzeptieren von anderen Religionen oder gar des Atheismus anbelangt, tut sich das religiöse Bewusstsein doch immer wieder schwer. Etwa dann, wenn den "Gottlosen" zwar nicht wie von islamischen Fundamentalisten mit der Fatwa begegnet wird, aber doch mit der Geste des Mitleids oder Bedauerns, nach dem Motto: Ich bete für Dich vor Gott und hoffe, dass sein Wort Dich einst erreicht. Bei dieser freundlichen Form der Missachtung wird zwar toleriert, aber tolerieren ist eben noch lange nicht respektieren - ein Anspruch, den eine Religion mit Glaubensgewissheit wenn überhaupt, dann verständlicherweise nur schwer einzulösen vermag.

Die Vorstellung von Leuten wie Bischof Huber, Werte und Ethik überhaupt seien an Religion gebunden, hat im übrigen noch eine zweite Crux. Sie vermengt Inhalte und Begründungen: Das eine sind die Werte, das andere ihr (religiöses) Fundament. Fraglich ist nun aber, ob man dieses Fundaments bedarf, ob man der Absegnung der eigenen Wertorientierungen durch eine höhere, transzendentale Instanz namens Gott, Allah oder eine ähnliche Instanz bedarf. Für viele religiöse Menschen scheint das so zu sein, und sie können sich die Wahrheit wie auch die Befolgung ethischer Normen ohne Lizenz von oben offensichtlich nicht vorstellen. Hier liegt aber gerade nicht der Vorteil religiöser Moralbegründung, sondern ihr großer Nachteil. Ein Nachteil, der mit dem autoritativen und dogmatischen Hintergrund eines solchen Moralbewusstseins zu tun hat. Und man frage sich nur, wem man eigentlich in menschlich-moralischen Dingen eher traut: demjenigen, der sich mir gegenüber aus Gefühlen der Mitmenschlichkeit, der Fairness et cetera korrekt verhält, oder demjenigen, der die religiösen Forderungen mehr oder weniger gehorsam exekutiert? Wer diese Frage für sich beantwortet, wird wissen, worauf es bei Ethik und Moral ankommt, welche Sozialisation und welche psychischen Hintergründe hier wichtig sind. Und: wie in der religiös geführten Werte-Debatte ein religiöser Machtanspruch - christliche Werte sollen gelten und zwar mit kirchlicher Absegnung - in Scheinargumentationen verkleidet wird.


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