Amerikas "Blitzkrieg" im Irak scheint von Dauer. Kaum hatte Verteidigungsminister Rumsfeld in einem internen Memorandum, das wir auf dieser Seite dokumentieren, größere Schwierigkeiten eingestanden, begann der Ramadan mit einer Serie von Anschlägen. Der Bush-Administration fehlt eine politische Strategie, um den Zielen näher zu kommen, die neben dem Sturz Saddams Anlass des Krieges waren.
Ich war gerade in der Polizeistation von Falludscha, als mir das Ausmaß der Schizophrenie bewusst wurde. Christopher Cirino, Hauptmann der 82. Luftlandedivision, versuchte mir den Charakter der Angriffe zu erklären, die regelmäßig gegen die amerikanischen Streitkräfte in dieser sunnitischen Stadt geführt werden. "Die Männer, die uns angreifen", sagte er, "sind Terroristen, die in Syrien ausgebildet wurden, und lokale Freiheitskämpfer." Wie bitte? Freiheitskämpfer? Tatsächlich benutzt Hauptmann Cirino diesen Begriff - und er hat Recht.
Sein Problem besteht einfach darin, dass er einen Teil der Wahrheit kennt. In der Umgebung von Bagdad zielen gewöhnliche Iraker - viele von ihnen seit langer Zeit Feinde von Saddam Hussein - bis zu 35 Mal am Tag auf Soldaten der amerikanischen Okkupationsarmee. Und selbst dort, wo Hauptmann Cirino seinen Dienst tut, in der Polizeistation von Falludscha, kann er nicht auf die Loyalität der von den Amerikanern angestellten irakischen Polizisten zählen. Denn sie sind die Brüder, Onkel und - kein Zweifel - auch die Väter von einigen, die jetzt im Guerillakrieg gegen die US-Soldaten stehen. Einige Polizisten gehören vermutlich selbst zu den "Terroristen".
Kein Wunder also, dass die Moral der US-Streitkräfte am Boden liegt. Niemanden kann überraschen, dass die amerikanischen Soldaten, die ich in Bagdad und anderswo traf, mit ihrer Meinung über die Regierung nicht hinter dem Berg halten. Ihnen wurde zwar der Befehl erteilt, gegenüber Irakern oder Journalisten nicht schlecht über ihren Präsidenten oder ihren Verteidigungsminister zu sprechen. Als ich allerdings von einigen Angehörigen der Militärpolizei in der Nähe von Abu Ghurayb wissen wollte, ob sie bei der nächsten Wahl Republikaner wählen würden, konnten auch sie nur noch lachen. "Wir sollten nicht hier sein, und wir hätten niemals hier sein sollen", sagt mir einer mit erstaunlicher Offenheit. "Vielleicht können Sie mir sagen, weshalb wir in dieses Land geschickt worden sind."
Der Fisch stinkt am Kopf zuerst. Während der anglo-amerikanischen Invasion im März haben die US-Streitkräfte es abgelehnt, Verantwortung für unschuldige Opfer zu übernehmen. "Wir zählen keine Leichen", hatte General Tommy Franks verkündet. So gab es auch keine Entschuldigung für die 16 Zivilisten, die nahe Mansur getötet wurden, als die Alliierten einen Vorort von Bagdad in der vergeblichen Hoffnung bombardierten, Saddam treffen zu können. Als Spezialkräfte vier Monate später ein Haus in derselben Gegend - wiederum auf der Suche nach dem irakischen Führer - verwüsteten, töteten sie sechs Zivilisten, darunter einen 14-jährigen Jungen und eine Frau mittleren Alters. Vier Tage später wurde verkündet, dass man seitens der Armee herausfinden wolle, was genau passiert sei. Von einer offiziellen Untersuchung war keine Rede, denn das könnte ja bedeuten, dass die Erschießung von sechs Zivilisten nicht rechtens gewesen sei. Kurze Zeit später war diese Angelegenheit vergessen.
Im Irak haben die Amerikaner gewissermaßen eine Lizenz zum Töten. Nicht ein einziger Soldat ist bisher für den Mord an Zivilisten zur Verantwortung gezogen worden, nicht einmal dann, wenn Iraker betroffen waren, die für die Besatzungsbehörden arbeiteten. So wurde beispielsweise auch nichts getan, als ein US-Soldat im Norden einen gezielten Schuss auf das Fahrzeug eines italienischen Diplomaten abgab und dessen Übersetzer tödlich traf. Ebenso ist nichts geschehen, als im April 14 Demonstranten in Falludscha und elf in Mossul erschossen wurden.
Ganz allmählich zeigt sich das ganze Ausmaß der schlechten Moral bei den US-Streitkräften. So wurden lokale Geldwechselstuben von den Besatzungsbehörden angewiesen, keine irakischen Dinar von Soldaten anzunehmen und sie gegen Dollar zu tauschen - allzu oft haben US-Militärs während ihrer Razzien Dinar-Bestände gestohlen. In verschiedenen irakischen Städten hörte ich immer wieder von den Bewohnern, dass sie von den US-Truppen ausgeraubt worden seien.
Das sind natürlich keine Nachrichten für die Heimatfront. Im Gegenteil: "Die Lebensqualität und die Sicherheit der Bürger ist weitgehend wiederhergestellt worden, und daran haben wir einen großen Anteil", meinte etwa Christopher Shelton vom 503. Luftlande-Infanterieregiment in seinem aus Kirkuk abgeschickten Brief an die Zeitung Snohomish County Tribune. "Die Mehrheit der Bürger hat uns mit offenen Armen willkommen geheißen." Natürlich hat sie das nicht, und Sergeant Shelton hat natürlich auch nicht den Brief geschrieben, auch nicht Sergeant Shawn Gruesser aus West Virginia. Und auch nicht acht weitere Soldaten, die angeblich Briefe an die jeweiligen Lokalzeitungen ihrer Heimatorte geschickt hatten. Die "Briefe" wurden an die Soldaten verteilt, mit der Bitte, sie doch zu unterzeichnen, falls Einverständnis mit dem Inhalt besteht.
Übersetzung aus dem Englischen: Hans Thie
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