Lob des Holzschuhs

Niederlande Der Triumph der Sozialisten kann nur auf den ersten Blick überraschen

"Dies ist der Tag, an dem die Sozialen an den Liberalen vorbeigezogen sind". Derart kurz und bündig beschreibt Jan Marijnissen, Spitzenkandidat der Socialistische Partij (SP), die scheinbar widersprüchlichen Ergebnisse der Parlamentswahl. Der christdemokratische CDA bleibt zwar stärkste Partei, doch die massiven Einbußen der anderen Etablierten - des rechtsliberalen bisherigen Koalitionspartners VVD sowie der sozialdemokratischen PvdA - hinterlassen einen Krater in der politischen Landschaft Den Haags. Wirklich zugelegt hat allein die SP mit ihren 25 statt bisher neun Sitzen in der 150-köpfigen Zweiten Kammer. Damit liegen die ehemaligen Maoisten als drittstärkste Kraft nur noch knapp hinter den Sozialdemokraten.

Deren Leid ist der SP Freud, spielt sich der Kampf um Wähler doch vor allem zwischen diesen beiden Parteien ab. Anders als beim Votum 2003 können die Sozialisten ihre guten Umfragewerte diesmal nicht nur halten, sondern sogar übertreffen, indem sie zahlreiche PvdA-Wähler auf ihre Seite ziehen. Dabei verdankt die SP den immensen Zulauf nicht allein enttäuschten Sozialdemokraten. Die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit überzeugt selbst Anhänger des CDA und sogar der Lijst Pim Fortuyn, auch verfehlt das Charisma des Dauervorsitzenden Marijnissen seine Wirkung nicht. Der hat im Wahlkampf offen um konservative Wähler geworben, die sich weniger Markt und mehr Menschlichkeit wünschen. Die Sozialisten präsentieren sich als Gegenpol zur Kürzungs- und Privatisierungsagenda der Balkenende-Kabinette, sie wollen Sozialstaat und Kündigungsschutz bewahren und im Falle einer Regierungsbeteiligung eine Milliarde Euro in das 2006 vollkommen umgekrempelte Gesundheitssystem stecken.

Als die PvdA in der Schlussphase des Wahlkampfs rhetorisch auf SP-Terrain wildert, hilft das nicht mehr viel - im Gegenteil, die Christdemokraten lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen, den PvdA-Spitzenkandidaten Wouter Bos als Opportunisten zu geißeln. Und im Kielwasser eine solchen Demontage kann es den Sozialisten Marijnissen nur nach oben tragen. Neuerdings gilt er als jener Politiker, mit dem die Niederländer am liebsten ein Bier trinken würden. Der ehemalige Schweißer verleiht seiner Partei ein authentisches Gesicht und bürgt für eine verbindliche Ärmel-Hoch-Mentalität.

Überraschen kann dies höchstens auf den ersten Blick. Die SP hat seit den neunziger Jahren kontinuierlich an ihrem Image gefeilt und dabei nicht nur Mao und Lenin abgeschworen. Sie warf auch Ballast über Bord, der für ihr "integratives Potenzial" von Nachteil war, etwa die Forderung nach dem Austritt aus der NATO oder dem Abtritt des Königshauses. Ein gewisses populistisches Element ist der SP schon immer eigen - nicht umsonst kommt von ihr in den Achtzigern der Slogan vom "Sozialismus in Holzschuhen".

In diesem Jahr liegt die Betonung mehr auf "Holzschuhen", schließlich haben sich für den Wahlkampf laut Umfragen die "Normen und Werte" als wichtigstes Thema herausgeschält. Und der kommunitaristische Ansatz der SP erscheint hochgradig kompatibel mit der niederländischen "Gezellig-Kultur". Deren militant-xenophobe Spielart vertritt ein weiterer Wahlsieger, der Rechtsaußen Geert Wilders von der Partij voor de Vrijheid - der Sozialist Marijnissen hingegen steht für eine nostalgisch-sozialkritische Einfärbung.

In der Rhetorik ähneln sich Wilders und Marijnissen zuweilen. Bereits vor 30 Jahren meinte Letzterer, die SP solle den "Willen des Volkes" artikulieren. In seinem Buch Effe Dimmen (Mal langsam) polemisiert Marijnissen 1998 gegen das "Totkuscheln von Ausländern". Eine Absage an die "politische Korrektheit", wie sie auch von Rechtspopulisten wie Geert Wilders und Pim Fortuyn hätte stammen können. Der Sozialistenchef liebt es, sich als Outlaw im Politikbetrieb zu inszenieren - Ein Rebell in Den Haag lautet denn auch der Untertitel des erwähnten Buches.

Wilders wie Marijnissen profitieren von einer momentan eher introvertierten Stimmung der Niederländer, die sich gegen ein Gefühl von Unbehaustheit und Kälte wehren. Wer da die Hand am Puls hat, verpasst seiner Wahlkampagne folgerichtig einen nationalen Bezug: "Bessere Niederlande für´s gleiche Geld", fordert die SP, "Niederlande stark und vital", plakatieren die Rechtspopulisten.


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