Löwe im Dschungel

Uncle Sam So sehen die Afghanen heute die USA in ihrem Land – ein Cowboy, der kurz mal vorbeikommt und die Gemeinschaft in Hasser, Bewunderer und Unentschlossene spaltet
Ausgabe 50/2013

Seien sie nicht albern. Amerika ist noch immer der Löwe im Dschungel“, so die Reaktion eines afghanischen Kommentators auf einen Artikel über globale Machtverluste der USA. Es sei besser, mit dem Löwen zu sein, als ihn am Schwanz zu kitzeln und zu riskieren, dass sich das mächtige Biest aufgehetzt fühlt. Angesichts der eigenen Gewaltgeschichte findet heute in Afghanistan die Vorstellung – wer die Macht hat, ist auch im Recht – bei vielen Anklang. Das erklärt, warum sich Kabuler Taliban Ende 2001 die Bärte abrasierten, während die übrige Bevölkerung „Onkel Bush“ als Retter empfand. Seither wurde vieles anders.

Aktuell wird Uncle Sam weder als Inkarnation des Bösen noch potenzieller Retter wahrgenommen. Der jüngst zwischen beiden Ländern geschlossene Sicherheitsvertrag wird diese Zwiespältigkeit noch verstärken. Denn das Narrativ des afghanischen Nationalismus handelt von einer kleinen, durch ausländische Mächte bedrohten Nation. Man betrachtet die USA als Imperium, das wie einst die UdSSR die afghanische Lebensart zerstört. Die Urheber dieser oft aus dem Exil kommenden Lesart sehen sich mit der Frage konfrontiert: Wie kann es dann sein, dass das afghanische Volk das Sowjetimperium besiegt, um bald darauf von Amerika besetzt zu werden? Um dieses Abweichen vom natürlichen Gang der afghanischen Geschichte deuten zu können, werden Verschwörungstheorien bemüht. Die Bürgerkriegskämpfer – die Mudschaheddin von früher und die Taliban von heute – werden als von Washington bezahlte Söldner dargestellt. In diesen Geschichten gilt der militante Islamismus als US-Erfindung, der 11. September 2001 als Plot der Bush-Regierung. Der Krieg gegen den Terror habe den USA nur dazu gedient, Unruhe unter den Muslimen zu schüren, deren Willenskraft zu schwächen und sie zu zwingen, Israel anzuerkennen. Wenn Israel keine Rolle im Narrativ spielt, handelt es sich in der Regel um eine andere Verschwörungstheorie: Derzufolge sind die USA wegen der natürlichen Ressourcen in Afghanistan. Ein afghanischer Student, den ich in Kalifornien kennenlernte, fasste diese Sicht durch die Wiedergabe eines Telefonats mit seiner Großmutter in Kabul zusammen. Sie habe mit eigenen Augen gesehen, wie „amerikanische Soldaten in afghanischem Boden nach wertvollen Mineralien gruben“.

„Obama, ich hasse dich“

In solchen Theorien hallt die Kritik am US-Imperialismus wider, die in den siebziger Jahren bei Intellektuellen in Kabul populär war. Was afghanische Kommunisten und ihre Erzfeinde, die Mudschaheddin, verband, war stets die ideologische Feindschaft gegenüber den USA. Auch wenn beide Lager inzwischen viel an Legitimität verloren haben, hat ihr Anti-Amerikanismus als geistiges Erbe überlebt.

Nicht nur die Wahrnehmung vieler Afghanen ist durch solcherart Paranoia verzerrt, auch das politische Establishment scheint anfällig dafür. So sagte kürzlich ein Amtsträger bei einer Fernsehrede, „Patrioten bei den Taliban“ hätten Kabul gewarnt. Offenbar planten die USA und Pakistan, Afghanistan zu teilen und den Südosten den Gotteskriegern anzubieten. Über derartige Gewährsleute könne Islamabad diese Region vorzüglich regieren. Obamas unbeholfener Versuch, Frieden zu stiften, indem er den Taliban zugestand, eine Mission in Doha zu eröffnen, wurde demzufolge als Verrat an den Verbündeten in Kabul empfunden. Natürlich sehen nicht alle Afghanen in den USA einen Feind, andere räumen ein, die Amerikaner seien dank ihrer Macht unverzichtbar für das eigene Überleben.

Durch den Drohnen-Krieg und dessen zivile Opfer fördert Washington im Gegensatz zu Islamabad weiterhin den Terrorismus auf afghanischem Boden. „Obama, ich hasse dich!“ lautet die letzte Zeile aus dem Gedicht eines jungen Hazara, der sich als Angehöriger einer Minderheit vom US- Präsidenten in Stich gelassen fühlt. Solcherart Empathie spiegelt die Enttäuschung eines Mannes, der einst an das amerikanische Ideal der universellen Gerechtigkeit geglaubt haben mag. Amerika wird letztlich als der sprichwörtliche Cowboy gesehen, der in einer Stadt einzieht und deren Bewohner spaltet – in Hasser, Bewunderer und Unentschlossene. Einfluss hat dieser Cowboy durchaus, im Kontext der langen afghanischen Geschichte aber wohl nur für kurze Zeit.

Nushin Arbabzadah ist Gastautor des Guardian

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Übersetzung: Zilla Hofman

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