Lok, der Underdog

Sportplatz Kolumne

Und der Zukunft zugewandt
Die Fans sind eine Macht,
wer keine hat, gut´ Nacht.
Und sind es auch nur sieben oder acht
Es sind Fans,
und Fans sind eine Macht.

Auf einem klapprigen Damenfahrrad dreht Schlager-Barde Frank Schöbel zur Halbzeit im Leipziger Zentral-Stadion eine Runde und schmettert seinen 17 Jahre alten Gassenhauer ins Mikrofon.

Die knapp 13.000 Fans schunkeln, singen mit und winken ihrem 60-jährigen Idol begeistert zu. Die Tribünen sind in gelb-blau getaucht, die Fans tragen T-Shirts, Mützen, Schals in den traditionsreichen Farben von Lokomotive Leipzig.

Die Stimmung ist ausgelassen, Lok führt bereits nach der ersten Spielhälfte mit 2:0. Alles wie früher, als Lok Leipzig ein klangvoller Name im europäischen Fußball war. 1987 stand die Mannschaft im Europacup Finale gegen Ajax Amsterdam.

17 Jahre später steht die Mannschaft in der dritten Kreisklasse. Die Liga hat nur einen Vorteil: Man kann nicht absteigen - es ist bereits die niedrigste Klasse.

Der Gegner heißen jetzt Seehausen, Paunsdorf oder - so wie an jenem Sonnabend im Oktober - Eintracht Großdeuben, zweite Mannschaft. Trotzdem kamen 13.000 Fans in das Leipziger WM-Stadion, um dieses reguläre Punktspiel in der dritten Kreisklasse zu sehen.

"Lok ist Kult", sagt Steffen Kubald, und zuckt etwas ratlos mit den breiten Schultern. "Das hat ja keiner ahnen können, dass sich das alles so entwickelt", murmelt der massige Vereinschef von Lokomotive Leipzig. Zum ersten Training kamen 500 Zuschauer, zum ersten Freundschaftsspiel 1.000 und zum Saisonauftakt pilgerten 5.000 Fans ins Bruno-Plache-Stadion nach Probstheida. So viele wie schon seit Jahren nicht mehr. Die 13.000 Zuschauer im Zentralstadion sind für eine Partie in der untersten Liga einsamer Rekord in Deutschland.

Wer zu den Spielen von Lokomotive geht, atmet DDR-Nostalgie. Hier ist alles wie früher, hier zählen wieder Werte wie Zusammenhalt und nicht nur Geld. "Alles für den Verein", lautete die inoffizielle Losung der Anhänger.

Bratwürstchen wenden, Fanartikel verkaufen oder den Verein führen - "Hier kriegt niemand Geld", versichert Kubald. Vor der Saison standen gut zwei Dutzend Hardcore-Fans vor Kubald - angetreten zum unbezahlten Unkrautjäten auf dem Vereinsgelände.

"Jetzt sehe ich bei Lok wieder Leute, die zehn Jahre lang nicht da waren", erzählt Thomas Kurz, der selbst wegen des Spiels aus Berlin angereist ist. "Die Fans kommen aus Frankfurt, Stuttgart und München. Nicht wegen Fußball, sondern um Leute zu treffen", erklärt der Lok-Anhänger in der Diaspora. Das überquellende Gästebuch auf der Homepage des Vereins bestätigt das. Mehr als 1.500 Beiträge sind nachzulesen, darunter viele Mitteilungen von Lok-Fans aus der ganzen Bundesrepublik.

"Gerade in der heutigen Zeit, da fällt es den Leuten doch schwer, sich mit den hochbezahlten Fußball-Profis zu identifizieren", glaubt Rainer Lisiewicz. Der Lok-Trainer beobachtet das Phänomen Lok seit Wochen, trotzdem fällt es ihm schwer, Worte dafür zu finden. "Die Leute spüren", setzt er an und ringt dann nach Worten. "Die Leute spüren, dass sich hier alle voll reinknien."

Lok symbolisiert den Underdog. Lok ist DDR-Tradition, die von selbstherrlichen Präsidenten aus dem Westen ruiniert worden ist. "Der Weg zu Lok ist eine Trotzreaktion", sagt Lisiewicz.

Die Fans haben ihre alte "Loksche" wieder und sind glücklich. Vor einigen Wochen hat der Trainer das 62-jährige Lok-Idol Hennig Frenzel eingewechselt. Die Zuschauer waren begeistert, ließen den ehemaligen Torjäger hochleben. Bei Lok wird in Ehren gehalten, was auch vor der Wende schon etwas Wert war. Sein Geld verdient Frenzel als Übungsleiter der B-Jugend des Vereins. Viele andere Spieler der ersten Mannschaft trainieren auch Jugendmannschaften. Dadurch kennen sie nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern. "Wir sind ein familienfreundlicher Verein", bekräftigt Lisiewicz. Bei den Spielen sieht man überraschend viele Frauen und auch Kinder in gelb-blauen T-Shirts, die "L-O-K" krächzen.

Die Qualität des Fußballs ist dabei Nebensache. Dennoch zählt das Erfolgserlebnis. Denn das Plache-Stadion ist Balsam für das angeschlagene Selbstvertrauen. Der Traditionsverein gewinnt regelmäßig in zweistelliger Höhe: Zu Lok gehen, heißt siegen lernen.

Nach jedem Tor grölen die Fans: "Wir sind die größten der Welt." Für 90 Minuten sind sie das wohl auch.


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