Loslassen ist unhöflich

Im Gespräch Mit 30 warf Conor Woodman seinen Bankjob hin und zog aus, um von marokkanischen Teppichverkäufern, sudanesischen Kameltreibern und kirgisischen Pferdehändlern zu lernen

Der Freitag: Herr Woodman, Sie haben Ihren gut bezahlten Job in der Londoner City gekündigt, Ihre Wohnung in London verkauft und sich auf Weltreise begeben, um selber Handel zu treiben. Sie haben in sudanesische Kamele, südafrikanischen Rotwein und aufblasbare Surfbretter aus China investiert. War das nicht ein sehr teuer erkauftes Abenteuer?

Conor Woodman: Ich hab es gar nicht so gesehen, dass ich dabei Geld verliere. Im Gegenteil: Ich war auf der Suche nach einer interessanteren Art, Geld zu machen und meine Zeit zu verbringen. Der Handel hat uns schon immer mit Menschen aus anderen Kulturen zusammen gebracht. Vor 3.000 Jahren gingen die frühen Händler auf Reisen, um neue Märkte für ihre Waren zu finden, und lernten dabei fremde, aufregende Kulturen kennen.

Und kann man immer noch auf die alte Weise Handel treiben?
Ja natürlich. Ich habe herausgefunden, dass die Welt gar nicht so sehr von den großen Unternehmen beherrscht wird, wie ich gedacht hatte. Die großen Konzerne streichen zwar Riesengewinne ein, doch es sind die kleinen Firmen, die den Handel auf der Welt am Laufen halten. Wenn man in einem Büro in London sitzt, glaubt man leicht, dass sich alles ums große Geld dreht; in Wirklichkeit ist das große Geld aber nur die Summe all der kleinen Beträge, die von Menschen beigesteuert werden, die sich so ihren Lebensunterhalt verdienen. Und eben darum geht es letztlich: um das Leben.

Ihnen ging es aber auch darum, Ihren Einsatz zu verdoppeln?
Ich habe 25.000 Pfund in 50.000 Dollar umgetauscht, die ich in Produkte investiert habe, von denen ich glaubte, Gewinn machen zu können.Die Regeln habe ich mir so gesetzt: Um meine Reise finanzieren zu können, musste ich genauso geschickt handeln wie die Einheimischen. Also in kürzester Zeit die gerissenen Tricks der Händler durchschauen, die mich mit herzzerreißenden Geschichten zum Kauf verführen wollten. Und ich durfte mich nicht von windigen Geschäftemachern herunterhandeln lassen. Es wird oft gesagt, die Jagd nach dem Geld sei die Wurzel allen Übels. Ich sehe das ganz anders, denn ohne das Gewinnmotiv gäbe es keinen Handel und ohne Handel wüssten wir überhaupt nichts über die Welt vor unserer Haustür.

Sind Sie einfach so ins Flugzeug gestiegen und losgeflogen oder haben Sie sich ihre Route vorher genau überlegt?
Der Plan war, von Nord- nach Südafrika zu reisen, dann durch Indien, Mittelasien und China bis nach Taiwan und Japan. Von dort sollte es über den Pazifik nach Mexiko gehen, zum Schluss nach Brasilien und von dort zurück nach England. Diese Route habe ich mir ausgesucht, weil es sich dabei, bis auf Japan, um ehemalige Entwicklungsländer handelt, die inzwischen aufgeblüht sind. Ich dachte, dass sich mir dort die besten Chancen für neue Geschäfte bieten würden.

Wussten Sie auch schon, womit Sie handeln würden?
Bei einigen Dinge stand vorher für mich fest, dass ich mit ihnen handeln würde: Kaffee, Wein oder Tee hatte ich auf der Rechnung, aber andere Dinge wie Currypaste, Jade-Schnitzfiguren und aufblasbare Surfbretter haben sich im Laufe der Reise ergeben.

Wo ging es los?
In den Suks von Marrakesch, wo sich einer der ältesten und halsabschneiderischsten Märkte der Welt befindet. Ich fand, dass ich hier anfangen musste, wenn ich mich rund um den Globus als Händler bewähren wollte. Zunächst verschaffte ich mir einen Überblick, sprach mit den Händlern, um herauszufinden, wie die Lieferkette funktioniert und wo man Gewinne machen kann. Dann fuhr ich in ein kleines Dorf in den Bergen, um einen Teppich zu erwerben und ihn dann auf dem Markt in Marrakesch gewinnbringend an Touristen zu verkaufen. Mit Erfolg.

Und womit war es am schwierigsten zu handeln?
Mit Pferden, die ich in Kirgisistan gekauft habe. Ich wollte mich unbedingt einmal im Viehhandel ausprobieren. Ich kannte den fiesen Ruf der kirgisischen Pferdehändler. Und wissen Sie was? Den haben sie sich verdient!

Warum?
Die kirgisischen Pferdehändler sind echte Miststücke. Sie sind groß und stämmig, und wenn sie verhandeln, dann geht das so: Man gibt sich anfangs die Hand und lässt solange nicht los, wie das Geschäft nicht abgeschlossen ist. Loslassen gilt als äußerst unhöflich. Die Sache kann sich ganz schön hinziehen: Wenn ich 100 Dollar von Ihnen verlange, und Sie mir zehn anbieten und ich dann auf 99 runtergehe und sie mir elf anbieten und so weiter. Und die ganze Zeit schütteln Sie dabei die Hand eines Mannes, dessen Hände dreimal größer sind als ihre. Unterdessen versammeln sich all die anderen Händler um einen herum und je näher man einer preislichen Einigung kommt, desto heftiger brüllen und schreien die anderen auf einen ein. Man steht unter enormen Druck, ein Geschäft abzuschließen. Ich habe meine drei Pferde schließlich weit unter Preis verkauft, weil ich weder den Nerv noch die Zeit hatte und weiter nach China wollte.

Haben Sie überwiegend mit Männern Geschäfte gemacht?
Ja, mit Frauen habe ich nur in Brasilien gehandelt. In Rio de Janeiro habe ich mit einer Barbesitzerin einen exzellenten Tequila-Deal gemacht und ihr einen unbekannten günstigen Tequila aus Mexiko verkauft. Sie hatte den Mut, etwas Neues zu machen, während die männlichen Barbesitzer ihre Vertragshändler nicht hintergehen wollten. Sonst waren meine Geschäftspartner alles Männer. Leider. Generell finde ich es viel besser, mit Frauen Geschäfte zu machen. Sie sind viel zivilisierter und entspannter, wohin gegen bei Männern viel mehr Konkurrenzgehabe hineinspielt und sie sich und anderen etwas beweisen wollen.

Sie wollten sich aber auch etwas beweisen?
Ja, und das war ziemlich hart. Ich musste mir alles selbst beibringen und vor Ort auf die lokalen Gegebenheiten reagieren, die Traditionen respektieren. Sie müssen immer davon ausgehen, dass die Einheimischen auszunutzen versuchen, dass Sie nicht von dort kommen. In diesen fünf Monaten habe ich mehr Herausforderungen erlebt, mehr Erfolge und Fehlschläge, als in fünf Jahren meiner Arbeit in London. Es war alles viel intensiver, weil ich ja mit meinem eigenen Geld gehandelt habe.

Was haben Sie von Ihrem Abenteuer noch mitgebracht?
Ökologisches Teakholz aus Brasilien, das ich nach meiner Rückkehr in England verkauft habe. Mein letzter Coup. Und ich habe gelernt, wie essentiell das Handeln für das Leben der Menschen ist. Es geht um mehr als nur ums Geldverdienen. Das Miteinander-Geschäfte-Machen ist eine soziale Aktivität, bei der die Menschen auch Neuigkeiten austauschen.

Als Sie nach England zurückkamen, hatte die globale Finanz- und Wirtschaftskrise den Bankenstandort London bereits voll erwischt.
Viele alte Freunde aus der City hatten plötzlich ihre Arbeitsplätze verloren. Eine Menge schlauer und einfallsreicher Leute müssen jetzt andere Wege finden,um an Geld zu kommen. Aber ich glaube, das könnte sich für viele von ihnen als große Chance herausstellen. So oder so müssen wir nicht mit jedem Mitleid haben, der seinen Job verloren hat. Ich höre ständig, dass die Strände von Thailand gerammelt voll mit Bankern seien, die sich entschieden hätten, ein paar Jahre Auszeit zu nehmen. Wenn die dafür Geld haben, brauchen sie einem auch nicht leidtun.

Sie schreiben in Ihren Buch, dass der Kamelhandel im Sudan Sie an die derzeitige Situation des Bankensektors im Westen erinnert. Warum?
Üblicherweise funktioniert es so, dass jemand ein Kamel kauft, es aber noch nicht bezahlt. Der erste Käufer bringt das Kamel an einen etwas nördlicher gelegenen Markt und verkauft es dort weiter. Der Käufer, im Grunde nur ein Zwischenhändler, gibt ihm aber noch kein Geld dafür, sondern verkauft das Kamel gleich wieder. So geht es immer weiter, bis der letzte Käufer es auf dem großen Markt in Ägypten verkauft und Geld dafür bekommt, und dann bekommen alle Zwischenhändler Schritt für Schritt ihr Geld zurück. Manchmal erreicht es allerdings nicht bis den Ausgangspunkt. Das führt dann auch zu einer Art Kreditklemme. Die Ähnlichkeit mit dem globalen Finanzsystem ist verblüffend. Die Banken gewähren sich ständig gegenseitig Kredite und erwirtschaften über die Zinsen Gewinne. Das System arbeitet wie eine gut geölte Maschine und das Geld fungiert dabei als Öl. Das Problem ist: Wenn die Erwartung, dass das Darlehen zurückgezahlt werden kann, untergraben wird, werden die Leute nervös und gewähren nicht mehr so bereitwillig Kredite, das Öl trocknet ein, die Maschine läuft sich fest. Ob es nun um Kamele oder Kredite geht – das System hängt vom Glauben ab, dass der Nächste in der Kette auch zahlen wird.

Conor Woodman, 35, arbeitete als Finanzanalyst in der Londoner City bevor er auszog um das Handeln zu lernen. Er, der gewohnt war, vom Computer aus Millionenbeträge auf Knopfdruck zu verschieben, trat nun gegen die gewieftesten Händler in aller Welt an: Teppichhändler in Marokko, Kameltreiber im Sudan und Pferdehändler in Kirgisistan. Channel 4 machte daraus sogar eine Filmreihe: Around the World in 80 Trades

Bazar statt BörseConor Woodman. Aus dem Englischen von Ingrid Proß-Gill, Carl Hanser Verlag 2009, 304 S., 17,90

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