Lost Paradise

Berliner Abende Kolumne

Es gibt sie noch, die Paradiese mitten in der Stadt.

Am Friedrichshain lässt man das Areal um den Märchenbrunnen links liegen, überquert zwischen Kindergarten und Eisdiele den Parkplatz, steigt den Erdwall hoch und schlüpft durch das aufgerissene Loch eines Maschendrahtzaunes.

In allen Städten gibt es diese Paradiese.

In Barcelona der Parque de Montjuic. Am Monte Caprino in Rom. In Paris im Parc des Buttes-Chaumont. Einschlägige Verzeichnisse (Spartacus International Gay Guide) helfen. Meist reicht der Instinkt des Jägers, genetisch fixiert, denn es gab sie zu allen Zeiten: Unterm Baum der Erkenntnis, im barock verschnittenen Garten, in der scheinbaren Wildnis des Landschaftsparks. Das Buschwerk ist entscheidend. Das Blätterwerk gibt Sicherheit und wirkt animierend. Ebenso wichtig die Blicke in die andere Richtung und die Gedanken, die die Ahnungen vervielfachen. Vermutete ungehemmte und tatsächliche, nicht sanktionierte Liebe. Sehnsüchte werden kurzfristig befriedigt. Es ist wohl besser, diese Befriedigung nicht mit Erfüllung zu verwechseln. Aber für zwischendurch reicht´s.

Anfang Mai legte ich nachmittags für eine Stunde die Arbeit, die nicht gelingen wollte, hin, um in die paradiesischen Zustände zu flüchten. Am Maschendrahtzaun sah ich´s: Bagger, Schaufeln, Schubkarren. Der Himmel eingestürzt. Das Paradies Opfer eines Bauvorhabens. Die Bäume gefällt, die Winkel verräumt und die Bewohner vertrieben.

Aus und vorbei mit der Jagd, die nicht aufs Töten aus war. Vorbei mit dem Erlegen oder Sich-Erlegen-Lassen. Zum Heulen war mir. - Habe gelacht. Über die unerwartete Veränderung? Meine zurechtgestutzten Erwartungen? Die Hartnäckigkeit derer, die jetzt schutzlos zwischen den Schaufelbaggern auf planierter Erde standen? Kein Buschwerk, keine Ziegelmauer, kein ungeschnittenes Gras. Haben auch Adam und Eva aufgelacht, als ihnen der Weg hinaus gewiesen wurde? Warum denn nicht? Aus Erleichterung gar? Es ging ja endlich ins tatsächliche Leben. Auch mir war nirgends, wie im Paradies Am Friedrichshain, die Sehnsucht nach tätiger Liebe brennender erschienen. Man wählt nicht immer das unbedingte Leben, wenn es mehr als genug dieser bedingten Paradiese gibt.

Das Paradies Am Friedrichshain war ein Freiraum, der nicht das Deckmäntelchen der Nacht brauchte. Die Kindergärtnerinnen drapierten Bambusmatten an den Zaun. Die Theatergruppe vom Nebengrundstück hatte schwarze Planen aufgezogen. Im Verlagsgebäude waren die Rollos heruntergelassen. Und wenn die Verlagsraucher aus den Fenstern qualmten und man zu ihnen hochsah, taten sie, als existierte nicht, was sie da unten zwischen den Büschen sahen. Jagen. Erlegen. Lieben. Wir waren eine Kinderspielgruppe, über die man hinwegsah. Synchronisiert vom Kinderschrei und den falschen Tönen der Laienschauspieler. Man sprach sich nicht an. Verführerische Gewissheit. Und durch das Loch im Maschendraht krochen nur jene, die wußten, was hier gespielt wird. Dieses Paradies stand einem Tag und Nacht offen, anders als die meisten dieser Art. Und es war tatsächlich unberührt von städtischen Gartenarbeiten.

An Paradiese ist man bald gewöhnt, wie an den Ort seiner Herkunft. Jeder Busch, jeder Strauch ist vertraut. Erinnerungen. Geschichten. Erfüllen tut der Ort Paradies Liebe nicht, ebensowenig wie der Ort Heimat Geborgenheit. Viel Sehnsucht findet man. Haben sich die anderen abgeschirmt, weil Sehnsucht zuweilen grausam anzuschauen ist?

Mir blieb nichts übrig: Anfang Mai machte ich mich auf die Suche nach einem neuen Paradies. Aber ich war mit keinem aus dem einschlägigen Nachschlagewerk und mit keinem, wohin mich mein Instinkt führte, zufrieden. Schuld war ein Dämmern, das dem Lachen angesichts der Vertreibung entsprang: Sollte es ein Paradies geben, ist es möglicherweise kein Ort und die Büsche wachsen nicht nach Jahreszeiten?

Und im Juli, überraschend und zufällig, tapste ich hinein. Dort, wo ich es nicht vermutet, an dem Abend, an dem ich nicht damit gerechnet hatte. Auf ganz natürliche Weise. Ich fand ein Buschwerk im Herzen, das in der Brust eines anderen schlägt. Ich will die Sache nicht weiter besprechen. Nicht hier und jetzt. Nicht in aller Öffentlichkeit. Aber sollte ich einmal wieder in ein Paradies zurückkehren, an diesen einschlägigen Ort, ins Natur- und Glücksimitat, wird man mich leicht erkennen. Ich werde lachen, denn das tut dort niemand. Niemals. Solche Paradiese sind bar jeder Heiterkeit, bar jeder Ironie. Trotzdem. Kein Grund sie zu zerstören.


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