Lückenlos

Grummeln vom Band Ein Rückblick auf die Gastspiele der "spielzeiteuropa"

Seit 55 Jahren sind die Berliner Festspiele bemüht, "dem künstlerisch Außerordentlichen, aber auch dem noch Unbekannten und Innovativen ein Forum" zu bieten. Diesem Ziel dient eine Vielzahl von Veranstaltungen, in denen die verschiedenen Künste zu ihrem guten Recht kommen. Die jüngste Errungenschaft ist zwei Jahre alt, trägt den Namen spielzeiteuropa und ist aus einer Not geboren, die sich einem Geschenk verdankt: einem Haus, das der damalige Kulturstaatsminister Michael Naumann den Berliner Festspielen zur Nutzung überließ.

Einen Haken hatte dieses Geschenk allerdings: Zwar verfügten die Festspiele nun erstmals über einen zentralen Veranstaltungsort, doch um ihn ganzjährig zu bespielen, fehlte das Programm: Zwischen MaerzMusik im Frühjahr und dem JazzFest im Herbst klaffte eine winterliche Lücke. Um die zu schließen, ersann man die spielzeiteuropa, und so eigenwillig wie die Schreibweise war auch das Programm, das vom Oktober bis zum Februar zwölf internationale Produktionen aus den Sparten Tanz und Theater präsentierte. Doch wie schon bei der Premiere konnten auch dieses Mal weder Ort noch Titel noch das Motto Der Körper erinnert einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Gastspielen herstellen.

Darunter befanden sich neben Erfreulichem wie 4.48 Psychose mit Isabelle Huppert (s. Freitag 48/2005) auch echte Ärgernisse, allen voran die Inszenierung des Ukrainers Andriy Zholdak. In Charkiw nahmen die Behörden schon bei einer Voraufführung von Romeo und Julia. Das Fragment Anstoß an den Nacktszenen und stellten den Regisseur vor die Wahl, den Abend zu entschärfen oder den Posten als Intendant zu räumen. Zu Recht empört, entschied sich Zholdak für Letzteres. So kam die Inszenierung erst in Berlin heraus, und anstößig war sie auch hier - nicht durch zu viel nackte Haut, sondern durch die Mischung aus der propagandistischen Ästhetik Leni Riefenstahls und der Martialität von Rammstein. Und darin war sie so autoritär wie die Drohung der Zensur.

Aus London war Simon McBurney mit Maß für Maß angereist. Shakespeares Stück um den Zynismus der Macht wurde auf einer abstrakten Bühne gespielt und mit einem George-Bush-Video, Aktentaschen und mobilen Telefonen aufbereitet. Doch auch die modernsten Zutaten helfen nichts, wenn das Spiel der Darsteller antiquiert und hausbacken bleibt.

Ebenfalls aus London kamen Lloyd Newson und das DV8 Physical Theatre. Ihr Stück Just for show jedoch kam über das, was es im Titel trägt, nicht hinaus. Denn anstatt wie angekündigt die Bedeutung von Sein und Schein im Showbiz zu untersuchen und dabei die Grenzen zwischen Tanz und Theater einzureißen, wurde der schöne Schein mit einem gigantischen Aufwand aus Projektionen und Lichteffekten reproduziert. Beeindrucken konnte allenfalls die olympiareife Beweglichkeit des Ensembles.

Hans Peter Litscher hatte aus Paris eine Installation mitgebracht, die nach den Spuren der Relativitätstheorie im Werk Kafkas suchte. Litscher selbst führte ein handverlesenes Publikum im Eiltempo durchs gesamte Haus, wo in "Echo-Kammern" mehr oder weniger stichhaltige Belege für Einsteins Einfluss auf Kafkas Schreiben aufgebaut waren. Immerhin eine Gelegenheit, die faszinierende Technik der Unterbühne in Augenschein zu nehmen.

Die weiteste Anreise hatten Jossi Wieler und das Tokioter Theater X mit Yotsuya Ghost Story, der Bearbeitung eines traditionellen japanischen Stücks. Die Geschichte eines untreuen Ehemannes, der vom Geist seiner verlassenen Frau verfolgt wird, verlegte die Inszenierung in einen stillgelegten U-Bahn-Schacht. Das allein konnte jedoch kaum die versprochene Anbindung des alten Stoffes an die Gegenwart meinen. Dafür könnte eher das Bordell einstehen, das in der Unterwelt Einzug hielt, während sich die Handlung von den Bahnsteigen in das leere Gleisbett verlagerte. Die subtile Zunahme der Gewalt wäre ohne das drohende Grummeln vom Band sicherlich noch eindringlicher geraten. So bleibt von diesem Gastspiel vor allem das Aufeinandertreffen von europäischer Regie- und fernöstlicher Spieltradition in Erinnerung.

Solche Begegnungen zu befördern gehört zwar ausdrücklich zur Programmatik von spielzeiteuropa, doch wie im Vorjahr nimmt sich der Ertrag recht bescheiden aus. Vielleicht kann Brigitte Fürle, die im Sommer das Amt der künstlerischen Leiterin übernimmt, der Veranstaltung mehr Kontur verleihen, als es ihrem Vorgänger gelungen ist. Das Motto für die nächste Auflage lässt jedenfalls hoffen. Alles wird gut.


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