Lucy, die Markenfetischistin

Spotkritik Die Bild-Zeitung hat im Netz eine eigene Soap gestartet. Ein realistischer Blick auf das Leben einer jungen Musikerin sollte es sein, herausgekommen ist ein Werbespot

Eigentlich könnte Lucy ganz sympathisch sein, ein fröhliches, etwas naives Mädchen, das mit Anfang 20 von der Provinz nach Berlin zieht, im Gepäck eine Gitarre und große Träume von einer Musikkarriere. So weit, so alltäglich. Natürlich ist diese Lucy (gespielt von der 24-jährigen Sängerin Graziella Schazad) aber trotz ihrer Kleinstadt-Naivität eine ganz Aufgeweckte. Sie kann ihren Mitreisenden im Bus bereits erklären, welche U-Bahn sie nehmen müssen, ohne jemals vorher selbst in Berlin gewesen zu sein. Was aber stärker nervt als die Besserwisserei der Hauptdarstellerin ist die dreiste Werbung bei "Deer Lucy", der ersten Online-Soap der Bild-Zeitung. ("Deer Records" lautet der Name der Plattenfirma, bei der Lucy in Berlin arbeiten will - daher der Titel der Serie. Nur leider hat die Firma keinen Hirsch als Logo, sondern ein Eichhörnchen - müsste also eigentlich "Squirrel Records" heißen. Aber wer achtet bei einer Soap schon auf die Details?)

Obwohl die Filmchen mit einer hohen Auflösung laufen und aufwändig produziert sind, kann man nicht in den Vollbild-Modus wechseln - und das ist Absicht, denn neben dem Film-Fensterchen muss Platz für die passenden Anzeigen des Hauptsponsors Otto sein. Wenn Lucy in einem grauen Mantel aus dem Bus steigt, poppt nebenan eine Werbung für genau diesen Mantel auf. Wenn sie einen Rollkoffer hinter sich herzieht, erscheint eine Anzeige für den Koffer beim Otto-Versand. Wem das noch nicht reicht, der kann sich unter dem Button "Style" noch in den Kleiderschrank der Soap-Figuren klicken. Seitenweise wird hier jedes Kleidungsstück der Figuren zum Kauf angeboten.

Soaps - so kitschig sie Gefühle auch inszenieren mögen - leben davon, dass der Zuschauer sich in ihre Welt hineinbegibt, sich mit den Figuren freut oder leidet. Bei "Deer Lucy" wird der Zuschauer durch die penetrante Werbung aber ständig daran erinnert, wessen Geschöpf Lucy ist: Das Mädchen mit der Gitarre ist nur dafür da, Produkte von Otto vorzuführen, demonstrativ einen Wagen des Werbepartners Smart einzuparken und die Platten des Musikpartners Warner Music zu promoten. Deswegen wirken die Zeitlupen-Bilder von Lucys Traum, einem umjubelten Konzert auf einer großen Bühne, so hohl. Man nimmt dieser Figur ihren Traum nicht ab - Lucy will gar nicht wirklich ein Pop-Star werden, sie will nur bei Otto shoppen.



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