Täglich wird er durch einen Tunnel ins Gebäude geführt. Ganze elf Mal wurde er mit Handschellen gefesselt, Leibesvisitationen musste er sich zweimal unterziehen, nackt. Seine juri-stischen Papiere wurden beschlagnahmt. Julian Assange steht in London vor Gericht, seit Montag, auf demselben Areal, auf dem das Belmarsh-Hochsicherheitsgefängnis liegt – hier ist der Wikileaks-Gründer seit April 2019 inhaftiert. Etliche hundert Unterstützer, darunter etwa 150 französische Gelbwesten, protestieren am Eingang – gegen die Auslieferung Assanges an die USA.
Als seine Anwälte am zweiten Verhandlungstag die Handschellen, die Leibesvisitationen und die Beschlagnahmung der Papiere kritisieren, reagiert die Richterin mit lakonischer Pontius-Pilatus-Geste: Sie sei nicht befugt, einzugreifen – die Verteidigung könne ja Beschwerde einreichen. Assange sitzt in einem kugelsicheren Glaskäfig, er wirkt blass und verstört, als der Vertreter der US-Regierung die Anklage verliest und sich dabei mehrere Male direkt an die anwesenden Journalisten wendet: Keinesfalls gehe es hier um einen politischen Prozess, Assange sei kein Journalist, sondern ein gewöhnlicher Krimineller. Und die von Wikileaks offengelegten Kriegsverbrechen, das Collateral-Murder-Video aus dem Irak seien doch gar nicht das Thema. Was er dabei verschweigt: Die Veröffentlichung dieses Videos wäre sowieso nicht strafbar, im Gegenteil: Jahrelang hatte die Nachrichtenagentur Reuters versucht, das US-Militär zur Herausgabe der Aufnahmen zu bewegen – sie wurde unrechtmäßig verweigert. Worum es laut US-Regierung ausschließlich gehe, das sei das Hacken von Regierungsrechnern und die Gefährdung von Menschenleben durch das Veröffentlichen unredigierter Geheimdokumente.
Als die Verteidigung an der Reihe ist, offenbart sich schnell, wie dünn die Beweislage für die Anklage ist. Assanges Anwälte, Edward Fitzgerald und Mark Summers, nehmen die Anklage Punkt für Punkt auseinander. Summers fasst es wie folgt zusammen: „Lügen, Lügen und noch mehr Lügen“. Spannend wird es, als die Verteidigung darauf zu sprechen kommt, dass US-Präsident Donald Trump Assange durch Dana Rohrabacher, einst Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus, im Januar einen Deal angeboten hat: Straffreiheit für Assange, wenn er erkläre, dass die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente der Demokratischen Partei im Präsidentschaftswahlkampf 2016 in keinem Zusammenhang mit Russland stünden. Rohrabacher wie Trump dementieren dies mittlerweile. Fitzgerald sorgt für lautes Lachen im Saal, als er dazu spitz bemerkte: „Präsident Trump bestreitet alles – wir sagen: „Well, he would, wouldn’t he?“
Es gibt starke Indizien, dass es dieses Trump-Angebot gegeben hat: Der IT-Unternehmer und Assange-Unterstützer Kim „Dotcom“ Schmitz veröffentlichte jüngst eine Reihe von Chats mit einem „besten Freund“ Trumps, in denen Schmitz diesen dazu drängte, Trump dazu zu bringen, dass er sich öffentlich für den Deal mit Assange ausspricht. Jener „beste Freund“ ist mutmaßlich der konservative US-Moderator und Trump-Vertraute Sean Hannity. Auch mit Assange selbst hatte Schmitz dazu gechattet und Screenshots davon veröffentlicht. So oder so verfestigt sich nach den ersten Tagen des Verfahrens der Eindruck: Das hier ist ein politischer Prozess. Das Gegenteil zu beweisen, wird für die Ankläger schwierig zu beweisen sein.
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