Mit der EU-Osterweiterung wird sich die Förderpolitik der Gemeinschaft für die Regionen gravierend ändern. Bei einer Aufnahme Polens, Tschechiens, Estlands, Sloweniens und Ungarns - nimmt man nur die erste Beitrittsgruppe - verzeichnen mit Ausnahme der Region Prag alle weiteren Gebiete ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung, das unter 75 Prozent des EU- Durchschnitts liegt. Damit ist das entscheidende Kriterium für Förderung - sprich Subventionen aus Brüssel - erfüllt. Um unter diesen Umständen einen Finanzkollaps zu verhindern, muss die Union jetzige Fördergebiete neu bewerten - besonders die in Ostdeutschland.
Selten war ein statistisches Zahlenwerk mit solcher Brisanz behaftet wie die jüngste Neuberechnung der wirtschaftli
der wirtschaftlichen Leistungskraft sämtlicher EU-Regionen. Erstmals wurden die Daten aller zehn potentiellen Beitrittsländer (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien, Slowakei) einbezogen, die bei einer ersten und zweiten Ost-Runde dabei sein könnten. Die Statistik - sie basiert auf dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) - der Summe aller produzierten Waren und Dienstleistungen pro Kopf der Bevölkerung - wird damit gründlich durcheinander gewirbelt. Die Konsequenzen sind einschneidend: 15 der derzeit ärmsten Regionen der Gemeinschaft - zwei in Spanien, drei in Italien und fast das gesamte Gebiet der neuen Bundesländer - büßen durch den Statistik-Knick den Status "europäische Höchstfördergebiete" ein. Milliarden-Zuflüsse aus der Brüsseler Gemeinschaftskasse drohen zu versiegen, ohne dass die ursprünglichen Förderziele erreicht worden wären. Als vorrangige Zielgebiete der europäischen Regionalförderung (Ziel 1) werden sämtliche Verwaltungsbezirke, Provinzen oder Bundesländer eingestuft, deren Pro-Kopf-BIP weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts erreicht. In diese am wenigsten entwickelten Regionen werden zwei Drittel aller Fördermittel aus Brüssel gelenkt, jährlich etwa 32 Milliarden Euro. Die fünf neuen Bundesländer erhalten so zwischen 2000 und 2006 zusammen rund 20 Milliarden. Normalerweise versiegt dieser Transfer erst, wenn die betreffende Region die Fördergrenze überschreitet, also Anschluss an höherentwickelte EU-Regionen findet. Durch die Osterweiterung wird sich dies gravierend ändern. Mit Ausnahme der Region Prag (auch Bratislava bei einer Aufnahme der Slowakei) unterschreiten alle sonstigen Regionen der potentiellen Beitrittsländer die 75-Prozent-Schwelle deutlich, was den gesamten EU-Durchschnitt weit nach unten zieht. Die Regionen der heutigen Mitgliedsstaaten werden in Relation dazu statistisch reich gerechnet. In Deutschland hat dies zur Folge, dass alle neuen Bundesländer - mit Ausnahme der Problembezirke Dessau und Chemnitz - ohne tatsächlichen Leistungszuwachs über die magischen 75 Prozent geschleudert werden. So vollführen Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg statistische Luftsprünge von jeweils 70 auf 77,5 beziehungsweise 78,3 Prozent des europäischen Durchschnittswertes. Thüringens statistischer Höhenflug hebt den Freistaat von bisher 69 auf künftig 76,4 Prozent. In den Ländern Sachsen und Sachsen-Anhalt, deren Fördergebiete jeweils in drei Regierungsbezirke aufgeteilt sind, werden Dresden, Halle und mit 75,7 Prozent hauchdünn auch Magdeburg aus der Liste der Ziel-1-Gebiete gekegelt. Allein der Raum Leipzig überschreitet die Fördergrenze bereits nach dem heutigen EU-Durchschnitt und fällt damit ohnehin aus der Höchstförderung heraus. Fazit: Durch den statistischen Effekt der Osterweiterung drohen die neuen Länder in einer Situation kalt erwischt zu werden, in der ihre Aufholjagd nicht nur gegenüber Westdeutschland, sondern im Vergleich zu allen hochentwickelten EU-Regionen längst zum Erliegen gekommen ist. Seit 1998 - auch dies sagt die EU-Statistik - verlieren sie deutlich an Boden. Die derzeit grassierende Stagnation dürfte die Schere noch weiter auseinander klaffen lassen. Stellt man das vergleichsweise hohe Wirtschaftswachstum in Rechnung, das Ungarn, Polen und andere EU-Bewerber bis zum Jahr 2000 verbuchen konnten (wodurch in der rechnerischen Simulation der "erweiterte EU-Durchschnitt" angehoben wurde), dann verbannt das etliche ostdeutsche Regionen auf die Liste der europäischen Armenhäuser. Noch ist die Statistik eine Momentaufnahme, die Entscheidungen über die Aufteilung des Brüsseler Förderkuchens werden auf der Basis neuerer Wirtschaftsdaten frühestens in zwei Jahren getroffen. Die Gefahr, dass weite Teile der ostdeutschen Länder vorzeitig von der EU-Förderung abgeklemmt werden und damit weiter zurückfallen, wird dadurch aber bestenfalls gemildert. Hinter dem statistischen Zahlenlotto mit Milliardeneinsatz verbirgt sich eine hochbrisante politische Kernfrage: Soll die Finanzierung einer EU-Ostentfaltung vorzugsweise aus dem zusätzlichen Steueraufkommen der Erweiterungsprofiteure - namentlich der boomenden Exportwirtschaft - bestritten werden oder zu Lasten der Problemregionen in den heutigen EU-Staaten gehen. Wäre letzteres der Fall, würde die Union eines ihrer wichtigsten Ziele zu den Akten legen: die allmähliche wirtschaftliche Angleichung ihrer Mitglieder - im Brüsseler Eurokratenjargon: "den sozioökonomischen Zusammenhalt". Ostdeutschland liefe damit Gefahr - bis auf einige Wohlstandsinseln - zur Transitwüste zwischen den industriellen Ballungsgebieten des Westens und den künftigen Wachstumszentren Mittel- und Osteuropas auszutrocknen. Der politische Sprengstoff liegt auf der Hand. Ihn zu entschärfen, bieten sich mehrere Varianten an. Sachsen-Anhalt brachte vor einiger Zeit den Gedanken einer unterschiedlichen Förderschwelle für unterentwickelte Regionen in den heutigen und den künftigen EU-Staaten ins Spiel. Dies liefe allerdings auf eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in der erweiterten Union hinaus und würde neue Konflikte auslösen. Denkbar wäre auch eine allgemeine Anhebung der 75-Prozent-Schwelle, um den Statistik-Effekt zu neutralisieren. Dies dürfte allerdings sehr viel kosten und bei den Finanzministern der Netto-Zahler auf Granit stoßen. EU-Regionalkommissar Michel Barnier schwebt hingegen die bislang übliche Auslauf-Förderung vor, wie sie derzeit der Ostteil Berlins erhält. Für die künstlich reichgerechneten Regionen könnte sie besonders großzügig bemessen und durch eine Verkleinerung der Fördergebiete ergänzt werden, was besonders strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland zugute käme. Barnier lehnt letzteres allerdings ab. Er präferiert Querschnittsprogramme - etwa das Urban-Programm zur Förderung innerstädtischer Problemzonen. Davon könnten dann nicht nur die neuen Länder, sondern wie bisher auch die finanziell gebeutelten Städte im Westen profitieren. Doch auch hier dürften die Finanzminister in Berlin, Den Haag, Wien oder Stockholm intervenieren. Wie auch immer eine novellierte EU-Förderpolitik aussehen mag, sie wird zähe Verteilungskonflikte heraufbeschwören. Die Konjunktur der Aspiranten Polen, Ungarn, teilweise Tschechien zeigt seit 2000 schlaffe Segel. Eine schwindende Wirtschaftsleistung sorgt für wachsende Förderwürdigkeit, spätestens bei einer Vollmitgliedschaft dieser Staaten wird die EU das verkraften müssen. Springender Punkt ist aber letztlich auch, ob die Europäer ihr Geld vorrangig für Truppen- oder Flottenaufmärsche im Kielwasser der USA und unproduktive Rüstungsvorhaben ausgeben oder in eine Osterweiterung investieren wollen, die zu Recht als wichtigstes sicherheitspolitisches Projekt des gesamten Kontinents gepriesen wird.