Bevor die Deutschen Jörg Haider in ihren beliebten politphilosophischen Debatten durchnehmen, sollten sie vielleicht noch einmal einen Blick auf das kleine Österreich werfen. Das Regierungsprogramm, das dort nur in groben Umrissen von einigen Zeitungen vorgestellt wurde, ist schon fast wieder vergessen. Statt dessen widmet sich das ganze Land der spannenden Frage, ob Bundespräsident Thomas Klestil im Zusammenspiel mit Ex-Bundeskanzler Viktor Klima das schrille Auslands echo auf die Beteiligung der Haider-Partei selber "bestellt" hat. Quelle für den Verdacht ist die Journalistin einer in Jütland erscheinenden Zeitung namens Jylland-Posten, welche angeblich mit drei Abgeordneten gesprochen hat, deren Identität wir aber leider nicht erfahren. Man reibt sich die A
t sich die Augen. Wo sind wir hier? In Europa? Schon der Verdacht selber verrät mehr über die Phantasien von FPÖ-Politikern als über die Wirklichkeit. 14 EU-Regierungen einigen sich in Rekordzeit auf ein gemeinsames Vorgehen gegen Haiders neues Österreich. Und so kam es angeblich zu Stande: Klestil hat seinen "Freund" Chirac angerufen und gesagt: Hör mal Jacques, die wollen hier die Haider-Partei in die Regierung holen. Kannst du nicht scharf protestieren? Dann hat Klima noch seine Freunde von der Sozialistischen Internationale zusammen getrommelt. Aus dieser aberwitzigen Vorstellung spricht nicht allein tiefes Unverständnis der Bewegungsgesetze moderner westlicher Demokratien. Schlimmer: Haider und seine Freunde verraten, wie sie selber Politik machen.Die Drohung der EU-Staaten mit Sanktionen hat ihr Ziel verfehlt, und ob die diplomatische Quarantäne wenigstens in Zukunft wirkt, muss sich noch zeigen. Aber es geht auch nicht nur um Österreich, sondern vor allem um Europa. Haider ist der Einbruch des Anderen in die Welt der europäischen Demokratien. Das Andere wächst mit den demokratischen Potenzialen, mit der Modernisierung und der Öffnung, die die Nationalstaaten zur Zeit durchmachen. Es besteht aus destruktiver Kraft, aus Nationalismus, Stammesdenken, rückwärtsgewandten Utopien. Gegen das Andere helfen in der Zivilisation nur Dämme - abbauen oder klein halten lässt es sich nicht. Die EU-Staaten haben rasch einen solchen Damm gebaut. Man muss wirklich Angst haben; weniger vor Jörg Haider in Österreich, als vor vielen Haiders in Frankreich, Spanien, Holland, vor allem in Deutschland.Haider und seine Leute haben keine Visionen, auch keine hässlichen, wie etwa ein ausländerfreies Österreich. Sie wollen bloß die Macht. Haiders Weg nach oben führt über das Amt des Volkstribunen, das in allen autoritär strukturierten Gesellschaften seinen festen Platz hat. Haider ist ein Typus, ein ikonographisches Symbol. Mit Ideologien spielt er nur; wie alle in Österreich nimmt er sie nicht ernst. Es gibt im Land keine "freiheitliche Bewegung", wie es etwa in Deutschland einmal eine "nationalsozialistische Bewegung" gab. Haider hat keine Gesinnung, auch keine nationalsozialistische. Seine "Ausrutscher" machen zwar deutlich, dass er um der Machterringung willen keinem noch so schlimmen Ressentiment seinen Schlaf gönnt. Haider streut mit ihnen unerhörte Erinnerungen an den verstorbenen alten Fürsten ins öffentliche Bewusstsein, dessen Bilder man nach seinem Tod hatte abhängen müssen, der aber in den Erzählungen der Alten im Kyffhäuser fort lebt, von wo er kommen wird zu richten die Lebendigen. Es ist eine mittelalterliche Welt, in der man Adolf Hitlers auf mythische Weise gedenkt. Haider als spiritueller Erlöser. Er soll nichts ändern in Österreich; seine Wähler wollen gar keine Veränderung. Trotz einiger hässlicher Maßnahmen, die er möglicherweise durchsetzt, wird in Österreich zunächst alles seinen Gang gehen. Die Österreicher werden sich nur besser beschützt fühlen.Aber geht es um Österreich, das mit einem gewissen Recht von seiner eigenen Harmlosigkeit überzeugt ist? Die Probleme, mit denen Haider groß geworden ist, zum Beispiel das Ausländerproblem, gibt es in Österreich nicht. Es gibt sie aber anderswo. In Österreich sind die Haiders endemisch wie die Pest in Innerasien. Dort gibt es zwar immer wieder Pesttote, aber keine fatalen Epidemien; Seuchen ruft der Pestbazillus erst hervor, wenn er aus seinem Endemiegebiet ausbricht. Den Ausbruch muss man schon dann fürchten, wenn Haider in Österreich etwas zu sagen hat. Damit nämlich bekommt sein Aufstieg unweigerlich eine internationale Dimension. Haider braucht jetzt "das Ausland", denn in der Herrscherrolle kann er nicht überzeugen. Als gütiger Landesvater wäre er eine Lachnummer, und als Iwan der Schreckliche würde er nicht gewählt. Er muss also seine Tribunenrolle weiter spielen. Dazu braucht er immer einen "über sich". Hat er Wien eingenommen, bleibt nur noch Brüssel. Haider ist mit den Worten des Klagenfurter Psychoanalytikers Klaus Ottomeyer der "große Bruder, der die Kleineren vor den Eltern in Schutz nimmt". Jetzt hat die EU wohl oder übel die Rolle des strafenden Vaters übernommen. Haider hat die neue Autorität sofort angenommen und spielt schon jetzt sehr erfolgreich sein pubertäres Spiel. In Österreich kommt das glänzend an. Nie wird das Haider-Land aus der EU austreten, nur in einem unreifen Österreich, das ständig von Papi und Mami abgewatscht wird, hat Haider eine Chance. Die anderen EU-Gesellschaften sind zum Glück ein gutes Stück reifer als die österreichische. Ihre Sanktionen haben nach innen den guten Sinn, die Gemeinschaft gegen autoritäre Regression zu immunisieren. Wenn wir uns dafür einhandeln, dass uns nun ständig ein freches Miststück namens Haider vors Schienbein tritt, müssen wir es ertragen und ihn ab und zu aus dem Zimmer schicken. Eine unangenehme, aber notwendige Rolle.