Als ich 2005 mein erstes Mobiltelefon mit Kamera erwarb, drückte zeitgleich ein Elektronikkonzern dem berühmten britischen Fotografen Martin Parr ein Fotohandy in die Hand und schickte ihn damit zu Werbezwecken auf Weltreise. Beide Geräte waren technisch gleichermaßen unzulänglich. Während ich nach kurzer Zeit wieder davon abließ, mit dem Telefon diffuse Pixelhaufen zu produzieren, ist bei Parr eine wunderbare Bilderserie entstanden. So wie zu einem gelungenen Essen der Koch mehr beiträgt als der Topf, so macht auch in der Fotografie das Bild nicht in erster Linie die Kamera, sondern der Fotograf.
Sieben Jahre später hat sich die Technik nun so weit entwickelt, dass ich manchmal staune, wenn ich meinen Fotoapparat zum Telefonieren benutze. Ich me
ze. Ich meine mein Smartphone! Im Gegensatz zu meiner unhandlichen Spiegelreflexkamera habe ich dieses immer dabei. Richtig Sinn hat dieser Fortschritt für mich jedoch erst ergeben, als im Oktober 2010, damals exklusiv für Apples iPhone, die erste Version des Programms Instagram erschienen ist. Das Startup aus San Francisco hat es seinen Nutzern ermöglicht, über Farbfilter den eigenen quadratischen Fotos eine historische Anmutung zu verleihen und diese vor allem bequem in einem eigenen sozialen Netzwerk zu zeigen, zu bewerten und zu kommentieren. Außerdem können die Fotos auf Facebook und Twitter hochgeladen werden.27 Millionen Nutzer Im März dieses Jahres hatte Instagram weltweit bereits 27 Millionen Nutzer. Vor wenigen Tagen ist die App für das Betriebssystem Android erschienen, für Geräte, die nicht von Apple stammen. Innerhalb von sechs Tagen wurde diese Version mehr als fünf Millionen Mal heruntergeladen.Ich hatte mich als einer der Ersten nur vier Tage nach dem Start der Fotoplattform angemeldet und wusste erst einmal wenig mit ihr anzufangen. Ich lud ein paar Fotos hoch – und es passierte daraufhin nichts.Irgendwann habe ich begonnen, mich genauer umzusehen. Ich abonnierte die Fotokanäle anderer Nutzer und kommentierte hin und wieder ein Bild.Durch die neue digitale Technik hat sich auch mein Fotografierverhalten verändert: Ich fand zunehmend Gefallen am beiläufigen Fotografieren und habe schließlich meinen eigenen Stil entwickelt.Dank mobilem Internet kann ich meine Handyfotos nun binnen weniger Sekunden mit der ganzen Welt teilen. Ohne großen Aufwand ist Instagram für mich zu einem Fenster geworden, durch das ich der Welt meine Eindrücke vermitteln, aber die Welt auch, egal wo ich mich gerade aufhalte, beobachten kann.Sicher lockt Instagram zahlreiche neue Nutzer mit seinen praktischen Filtern an, die auf Knopfdruck die eigenen Bilder ästhetischer wirken lassen, als sie womöglich in Wahrheit sind. Doch bereits zu Zeiten der analogen Fotografie wurde im Labor mittels Chemie Einfluss auf das Aussehen von Fotos genommen. Selbst die Bilder des Düsseldorfer Fotokünstlers Andreas Gursky, dessen Werke zu den teuersten in der modernen Fotografie zählen, entstehen mehr auf dem Bildschirm als in seiner Kamera.Wer also vehement kritisiert, dass Handyfotos zu stark nachbearbeitet sind, verkennt, dass nicht nur jeder Fotograf seinem Geschmack folgend die Handyfotos bearbeiten darf, sondern auch, dass niemand gezwungen ist, sich die Bilder anzusehen. Mittlerweile kann man sogar ein umgekehrtes Phänomen beobachten: Immer mehr Fotos werden gar nicht mehr oder nur noch sehr schwach bearbeitet.Warum reizt mich Instagram noch?Für mich sind es vor allem die Mechanismen des Social Network, von denen ich profitiere.Während meine Fotos von über 32.000 Nutzern abonniert sind, verfolge ich die Fotoströme von rund 350 Nutzern. Darunter sind Freunde und Bekannte, die ein simples Fototagebuch führen und mich so an ihrem Leben teilhaben lassen. An ihnen interessieren mich auch belanglosere Eindrücke, wie beispielsweise Bilder von selbst gekochten Gerichten oder von Haustieren. Selbstverständlich inszenieren auch sie ihr Leben, indem sie bewusst auswählen, was sie den anderen zeigen wollen. Schließlich ist jeder etwas eitel und präsentiert lieber ein Foto von einem gesunden Salat, den er mit viel Mühe zubereitet hat, als eines von seinem letzten Junkfoodgemetzel.Dieser Mechanismus ist uns aus anderen sozialen Netzwerken längst vertraut, und wer dies kritisiert, sollte berücksichtigen, dass dies kein Phänomen einer neuen Fotoplattform ist. Unsere Selbstinszenierung beginnt bereits beim morgendlichen Griff in den Kleiderschrank.Global und lokal verabredetUnter den von mir über Instagram Verfolgten sind auch zahlreiche Fotografen aus aller Welt, die ich nicht persönlich kenne. Dem Produkt-Designer aus San Francisco, der Fotografin aus Berlin und dem Instagrammer aus Brasilien folge ich, weil sie mich ständig mit guten Fotos erfreuen und mich daran teilhaben lassen, wie sie die Dinge sehen.Wenn ich in der Bahn sitze oder auf den Beginn eines Meetings warte, schaue ich häufig erst einmal, ob es schon neue Fotos gibt.Auch ich lade beinahe täglich bis zu fünf Fotos hoch, die ich unmittelbar aufgenommen habe. Wir kommunizieren über Sprachgrenzen hinweg über Bilder, auch auf lokaler Ebene verabreden sich Instagrammer zu Fotospaziergängen, und ich habe auch schon von Freundschaften gehört, die durch Instagram entstanden sind. Mittlerweile möchte ich diesen Fotodienst nicht mehr missen. Facebook hat die Foto-App für eine Milliarde Dollar übernommen – und danach zugesichert, sie als eigenes Netzwerk fortzuführen. Doch die Community sorgt sich nun um Nutzerdaten und Bildrechte. Es bleibt abzuwarten, welche Geschäftsmodelle entwickelt werden. Es gibt aber keinen Grund zur Panik.Unabhängig von der Frage, ob Handyfotos künstlerisch wertvoll oder nur eine neue Form der Lebensinszenierung sind, macht mir der Fotodienst vor allem Spaß. Um das aber verstehen zu können, muss man es allerdings erst selbst ausprobieren.