Lustige Denunziation

Pop-Art Helmut Wietz kratzt in seinem nun vollendeten Comic „Der Tod von Adorno“ weiter am Mythos der 68er – begonnen hat er vor 40 Jahren
Ausgabe 10/2013

Kennen Sie den? In einer Vorlesung wird Professor Adorno von einem Studenten neugierig gefragt: „Sie beurteilen die neue Popmusik heutzutage ja als reines Abbild des Schlechten. Sie habe alles Menschliche verloren – und der schnelle Rhythmus sei nur Abbild des Gehämmers der Maschinen. Sagen Sie, Herr Professor, gilt Ihr Verdikt aber etwa auch für die Beatles?“ Adorno blickt verwundert auf, geht nachdenklich zum Fenster, sieht minutenlang hinaus, geht erneut hin und her, um dann stehen zu bleiben und leise zu antworten: „Ja, für die auch.“

Kaum jemandem haben die 68er angeblich so an den Lippen gehangen wie dem Frankfurter Sozialphilosophen Theodor W. Adorno. Die Zeit stellte vor einigen Jahren sogar wagemutig fest, niemand hätte die heutige Bundesrepublik so geprägt wie „Teddy“. Mit der „Bundesrepublik“ waren vermutlich Ikonen des kritischen Denkens wie der damalige SPD-Pop-Beauftragte (kein Witz!) Sigmar Gabriel gemeint. Auf einer Pressekonferenz legte er neulich einen bekannten Horkheimer-Satz über Faschismus und Kapitalismus Adorno in den Mund, Halbbildung at it’s best.

Na, sei’s drum, die Kritische Theorie galt den Linken wie den Deutschen ja schon immer als eine Soße, als bittere zumal, die weder zu Grünkern-Bratlingen noch zur Hax’n recht passte: Insgeheim galt sie immer als Widerstandsnest intellektueller Nervensägen, die wahlweise der Studentenbewegung in den Rücken fielen – weil erstere die Errungenschaften des Bürgertums genauso verteidigten wie die Westbindung – oder der neuen deutschen Reputation, wenn „die Frankfurter“ auf den enervierenden Zusammenhang von Etatismus und Faschismus hinwiesen. Der lustigste Vorwurf aber kam erst heuer vom Massenmörder Breivik: Adorno habe den sogenannten „Feminismus“ erfunden.

Infantile Sit-ins

Man könnte schon auf den Gedanken kommen, dass es eine schreckliche Zeit gewesen ist: 1968ff. Auf infantile Sit-ins folgten hysterische Theorie-Diskussionen, ellenlange Rudi-Dutschke-Monologe wechselten sich ab mit Stern-Reportagen über die höhere Tochter Uschi Obermaier, die selbst nackt tausendmal verhütender dreinblickte als eine hochgeschlossene Sophia Loren.

Endlich gibt es nun ein höchstvergnügliches Buch, das auf selbstironische Weise abrechnet mit den geistigen und ästhetischen Untiefen jener Zeit. Nicht zufällig ist es ein Comic, gezeichnet im Pop-Art-Stil von Andy Warhol und der 80er-Plattencover – damit ist es zugleich eine Reminiszenz an das wohl tatsächlich rebellischste Jahrzehnt der Nachkriegszeit: die Achtziger, in denen man die Denk- und Lustverbote der 68er hinter sich ließ und den hippie-ländlichen Siebzigern einen trotzig-eleganten und urbanen Privatismus à la Manhattan entgegensetzte. Jede Seite aus Helmut Wietz’ Der Tod von Adorno ist so dramatisch schön gezeichnet und gefärbt, dass man sie sich großformatig ins Schlafzimmer hängen könnte.

Der 1945 in Hamburg geborene Helmut Wietz ist biografisch selber in den 68ern verwurzelt, eigentlich ist er Filmemacher, in den siebziger Jahren studierte er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Mit seinem großen kompositorischen Talent setzt er sich auch von der modernen Comic-Schule ab, die sich nordeuropäisiert gerne der lustlos-abstrakten Strichmännchen-Neutralität hingibt (und sich künstlerisch verbrämt nur noch als Graphic Novel Art bezeichnet), um sich vom verführerischen Anime-Look Japans, den italienisch-verspielten Bestsellern oder dem Fotorealismus der US-DC/Marvel-Generation vermeintlich kritisch abzuwenden.

Wietz lässt seinen Strip-Helden Trollschak das gesamte bundesrepublikanische Schreckens-Panoptikum seit ’68 kritisch unter die Lupe nehmen. Begonnen hatte er den Comic schon vor 40 Jahren, nun wurde er fertiggestellt. Trollschak ist ein Einzelgänger, dafür sieht er umso klarer. Bezeichnend schon das wundervolle Titelbild: Eine Schöne, die eine leere Sprechblase haucht. In Bücher gegossene Bleiwüsten sind eben nicht schon das Leben, nur Intellektuelle verkaufen sie gerne als solches, um ihre Miete zahlen zu können.

Dialektik der Revolution

Wietz lässt Trollschak, einen westdeutschen Landflüchtling, in das ach so wilde Berlin der späten 60er eintauchen – er verzehrt sich nach Leben, nach Sex, nach Revolte. In Berlin findet er aber nur Sex – aber nicht bei den Genossinnen und ihren triebresistenten Ersatzhandlungen, sondern im entstehenden Porno-Business.

Gegen die praktische Kritik an den Verhältnissen, die dort geübt wird, erscheinen Trollschaks Mitstreiter wahrlich blutleer und ihre aufgesetzten Phrasen so inhaltsleer, wie sie es oft wohl waren. Kurioserweise ist gerade die zum Teil wortgetreue Überlieferung von Worthülsen aus dieser Zeit zwischen alten und neuen deutschen Totalitären die treffendste Entblößung der Geschichte pseudolinker (Selbst-)Verlogenheit. Wenn der Gegenstand der Kritik derart lächerlich ist, ist die reine Darstellung der Realität schon ein genügendes Argument.

Der Kritik an der „ungenauen Sprache des Idealismus“, die Götz Aly mit Unser Kampf vornahm, hat Wietz nun die passenden Bilder gegeben. Die schrille und intensiv luzide Überzeichnung der Figuren (im Kontrast zur Schlichtheit der Hintergrund-Settings) dürfte gut die egozentrische Zwei-Fronten-Selbstwahrnehmung jener Zeit in diesem „Bürgerkinderkrieg“ (Heinrich Böll) widerspiegeln: Das eigene Studium wurde finanziert von den Nazi-Eltern, gleichwohl wähnten sich die unmanierlichen Möchtegern-Vietkongs auf der richtigen Seite – und absurderweise immer auf der des deutschen Volkes, das wiederum diese „Langhaarigen“ doch am liebsten ins Arbeitslager geschickt hätte, wie damalige Wutbürger ungehemmt in die Kameras posaunten.

Wenn man bedenkt, dass die 68er gelegentlich selbst zu Anhängern der Schlächter Pol Pot und Mao wurden, war diese Idee vielleicht die einzig jemals gute aus dem reaktionären Lager. Nur wenige Linke ahnten die spätere rot-grüne Entwicklung der selbstgerechten linken „Fernfuchtler“ (Peter Handke) voraus wie eben Adorno oder Pier Paolo Pasolini, der in dem „Konformismus der Langhaarigen“ einen postmodernen Gedanken-Faschismus dämmern sah.

Wenn es noch eines mit leichter Hand geführten Beweises bedurft hätte, dass die 68er „einer schlechten Welt der schlechteren“ (Adorno) den Vorzug gaben, dann dürfte Wietz‘ Inhalt und Form kontradiktierende Gegenüberstellung von Anspruch und Wirklichkeit dieser sein. Mag zwar sein, dass auch Adorno nicht der größte Revolutionär war, aber zumindest wusste er noch, wie Trollschak, den kurzweiligen Genuss zu schätzen: in Form einer Zigarre, eines Bunga-Bunga oder eines Comics. Das unterscheidet die beiden angenehm von jenem humorlosen Teil der 68er, der ja nicht ohne Einfluss auf unsere Gegenwart blieb: In der Tradition ihrer Väter und Großväter bekämpfen sie als „Bürgerinitiativen“ vom „Latte-macchiato-Strich“ (Olli Schulz) auch noch heute jeden „westlichen“ Einfluss, wo es nur geht.

Adorno galt und gilt ihnen dagegen als zu abgehoben, Comics als zu dekadent, Erotik als zu oberflächlich und schlichte Themen wie Armut als nicht populistisch genug.

Der Tod von Adorno Helmut Wietz Metrolit 2013, 72 S., 22 €

Marcel Malachowski schreibt auch für die taz, die Zeit und die Jüdische Allgemeine

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