Luther hat nicht Gold geholt

Marx-Kongress Unter dem Titel "Marx is Muss" wurde am Wochenende in Berlin konferiert. Terry Eagleton widerlegte humorvoll Marx-Mythen und auch über Die Linke war einiges zu erfahren

Ein Gespenst geht um in Europa: Seitdem sich der Kapitalismus erneut kannibalisiert, trägt der Zeitgeist wieder Vollbart. Nicht nur in Lesekreisen, Universitäten und Buchläden, selbst beim Handelsblatt, wo man Das Kapital unlängst zum wichtigsten Wirtschaftsbuch aller Zeiten kürte, ist Kommunismus wieder sexy. Dennoch – oder gerade deswegen – ähnelt das Marx’sche Gespenst bis dato eher dem von Canterville: So richtig erschrecken kann es keinen mehr. Wohl auch, weil die Renaissance der Blauen Bände weniger Marxisten, denn Marxologen hervorbringt. „Marxology“, so nennt Jonathan Sperber, der gerade eine viel beachtete Marx-Biografie vorgelegt hat, jene poststrukturalistisch gedopte Spielart, die zwar allerlei illustre Erkenntnisse liefert, den eigentlichen Kern des Marxismus dabei aber nur zart streift.

So zeugt allein schon der Name des Marx-is-Muss-Kongresses, der vom 9. bis zum 12. Mai in Berlin stattfand, von angenehm unprätentiöser Unzweideutigkeit. Und die passt auch zu Terry Eagleton, dem unangefochtenen Star des Wochenendes. Der 70-jährige Kulturphilosoph gilt seit Jahrzehnten als eine der klügsten und kompromisslosesten Stimmen der Linken, 2012 veröffentlichte er mit Warum Marx recht hat erneut eine überaus hellsichtige Streitschrift. In Berlin schraubte er mit seiner herrlichen Mischung aus intellektuellem Esprit und britischem Humor die unkaputtbaren Mythen über den Marxismus auseinander. Allen voran, Marx habe die Blaupause für Blaumann-Kollektivismus und 70-Stunden-Woche geliefert. Denn Marx, der ja selbst lieber Abhandlungen über Balzac verfasst hätte, als sich, wie er einst an Engels schrieb, mit der „ganzen ökonomischen Scheiße“ zu beschäftigen, sei ganz im Gegenteil ein präziser Denker des Individualismus gewesen. Die Revolutionierung der Produktionsverhältnisse, das sei für ihn zuerst der Weg in die radikale Freizeitgesellschaft gewesen. Damit die Werktätigen über Gogol und Godard sinnieren können – so wie in Svetlana Baskovas diesjährigem Berlinale-Beitrag Für Marx –, brauche es vor allem eins: Zeit für Muße. Marx’ Denken, so resümierte Eagleton, „is about leisure, not labour“.

Darüber hinaus offenbarte der Kongress, der von Marx21, einem zur Linkspartei gehörigen Netzwerk mit gleichnamiger Zeitschrift, organisiert wird, einen zwiespältigen Blick auf den Zustand der Partei. Einerseits herrschte bei den bundesweit angereisten GenossInnen auf den Podien und im Publikum bisweilen eine derart unverbindliche Phrasendichte, dass es locker für eine Partie antikapitalistisches Bullshit-Bingo gereicht hätte. Folgte man jenen TeilnehmerInnen, die von ihren zehrenden Kämpfen in Betriebsräten, Krankenhausverwaltungen oder Lehrerschaften berichteten, so wurde andererseits klar, wie wichtig die Partei im ganz Konkreten ist.

Die Stimmung jedenfalls blieb trotz stagnierender Umfragewerte vorsichtig optimistisch, ein besonderer Mutmacher kam aus dem Publikum: „Wisst ihr eigentlich, wer vor ein paar Jahren die Wahl zum größten Deutschen gewonnen hat? Luther – aber Marx war Zweiter! Und das ist doch auch total gut.“ Für die Bundestagswahl könnte es indes ein schlechtes Omen sein, dass der Genosse sich vertan hat. Tatsächlich hatte seiner Zeit vor Luther und Marx nämlich ein anderer gewonnen: Konrad Adenauer.

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