Machen die ihren Job?

Journalismus Auf die deutschsprachigen Medien prasselt in der Krise viel Kritik ein. Muss man die JournalistInnen nicht auch mal verteidigen?
Ausgabe 03/2021
Steile Thesen sind oft nur um den Preis des Tunnelblicks zu haben
Steile Thesen sind oft nur um den Preis des Tunnelblicks zu haben

Foto: Steffi Loos/Getty Images

Bis in den Sommer hätte ich die These unterschrieben, dass der deutsche Journalismus in der Covidkrise versagt. Der Konformitätsdruck in den traditionellen Medien war so hoch, dass Positionen, die vom Mainstream abwichen, selten gedruckt wurden. Und wenn ein Herr Bhakdi oder eine Frau Mölling doch mal ein Interview geben durften, dann wurde der Beitrag von einem „Faktencheck“ begleitet, der freilich manchmal der Kritik sogar recht gab, aber das schien vor lauter Angst keiner zu merken. Viele mögen das nicht gerne hören, aber die Situation war vergleichbar mit der Flüchtlingskrise 2015, als skeptische Positionen sofort in eine „verdächtige“ Ecke gedrängt wurden.

Dann aber kam der Sommer, und mit dem Sommer wich die Pandemie zurück, und mit ihr verschwand die Angst. Es folgte die Zeit der Öffnung und der Selbstkritik. Bei Politikern (Jens Spahn: „Mit heutigen Wissen würden wir manche Entscheidungen anders als im März treffen.“), bei Virologen (Sandra Ciesek: „Ich habe kein Problem damit, mich zu irren.“) und bei Journalisten. So bekannte der ZDF-Mann Claus Kleber, während des ersten Lockdowns öfter in eine falsche „Pressesprecherrolle“ gefallen zu sein. In den folgenden Monaten präsentierte sich die traditionelle Medienlandschaft vielfältig und kritisch, nur Covid-Leugner konnten sich in ihr nicht finden und griffen auf Alternativmedien zurück. Dann kam der Winter, und mit ihm kehrte das Virus zurück. Es kam bald so heftig, dass abermals Irrtumsbekenntnisse angesagt waren. Aber nun war es ein in Covid-Maßnahmen zurückhaltender Politiker, der bekannte, dass er die neue Wucht der Pandemie erst nur schwer wahrhaben wollte. Ich glaube, es ging insgeheim manchem wie Bodo Ramelow, ich jedenfalls fand mich in seinen Worten wieder.

Mit der Wucht kehrte auch die Angst zurück, aber nun geschah etwas Erstaunliches: Die Zunahme der Angst in der Gesellschaft führte nicht zu einem neuen Konformismus in den Medien. Ich kann wirklich keine extreme Staatsnähe erkennen. Andere sahen das anders: Im „Impfversagen“ (Welt) respektive im „Impf-Versagen“ (Bild) oder auch im „großen Impfversagen“ (Standard) beziehungsweise im „Impfchaos“ (FAZ), will sagen: in „Merkels Impfstoff-Versagen“ versagt nicht nur Merkel, es versagten auch die Medien. Allein die Auswahl dieser Titel zeigt, dass es mit diesem Versagen nicht weit her sein kann. „Merkels Impfstoff-Versagen“, so lautete eine millionenfach gelesene Kolumne von Jan Fleischhauer bei Focus online, die Politik und Medien fundamental kritisierte. Fleischhauer blieb redlich genug zu erwähnen, dass just der Spiegel eine „exzellente Recherche zum Impfstoffdesaster“ vorgelegt hatte. Steile Thesen sind oft nur um den Preis des Tunnelblicks zu haben. So bleibt etwa unerwähnt, dass sich ausgerechnet Markus Lanz als unerschrockener Journalist zeigte (und für seine „Corona-Talks“ als „Journalist des Jahres“ geehrt wurde), und wer öffentlich-rechtliches Radio hört, wird auch zu einem differenzierten Bild kommen.

Wer ein „Versagen“ der Medien beklagt, meint eigentlich etwas anderes. Gemeint ist: „Es ist noch nicht genug!“ Ein schriller Weckruf. Auch das ist eine Aufgabe des Journalismus. Alarmisten dürfen natürlich nicht zimperlich sein. Vergleiche mit 1933 werden zwar nur von Covid-Leugnern gezogen, aber die aktuelle Kritik an der Rolle der Medien erinnert schon an die von 1914 ff., als die Presse Kriegs-Propaganda machte. Kritik übten damals eine Weltbühne, später eine Fackel. Pazifismus als hochmoralische Fundamentalkritik: Bis heute zehrt ein Teil des Aufklärungsjournalismus von diesem Pathos. Was aber würde Fundamentalopposition in der Covidkrise bedeuten? Genau! Deshalb bleibt es bei der halt recht unheroischen Einsicht, Sorge zu tragen, dass der Diskurs so offen bleibt wie er grad ist, und vielleicht ab und zu ein bisschen Alarm zu machen. Man sollte das nicht ganz der Bild-Zeitung überlassen.

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Eine Erwiderung auf diesen Kommentar von Welt-Redakteur Andreas Rosenfelder finden Sie hier

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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