Seit Beginn der israelischen Bodenoffensive gerät die Situation in Gaza immer mehr außer Kontrolle. Und auch politisch verschieben sich die Fronten. Bei dem sich anbahnenden Bündnis von Al-Fatah und Israel mit Ägypten und Jordanien geht es nicht mehr allein um den Konflikt zwischen Israel und Palästina. Was wir erleben, ist der Beginn einer neuen Form von Bürgerkrieg.
Die Intifada und die Situation heute lassen sich nicht mehr vergleichen
Es handelt sich bei dem aktuellen Konflikt nicht um dieselbe Situation wie vor einigen Jahren, als Israel die palästinensische Bevölkerung angriff. Die Intifada und die Situation heute lassen sich nicht mehr vergleichen. Wir stehen nicht mehr einer einheitlichen palästinensischen Bewegung gegenüber, sondern
Bewegung gegenüber, sondern einer Hamas, die Al-Fatah bekämpft. Letztere ist in Gaza zwar aus den Wahlen als stärkste Partei hervorgegangen, wurde dort aber aus der politischen Willensbildung ausgegrenzt. Gleichzeitig hat sich die Hamas mit ihrer Forderung nach der Vernichtung Israels bei der Bevölkerung dort große Sympathien gegenüber dem Friedensbefürworter Mahmut Abbas verschafft. Es gilt, sich dieses Schisma klar vor Augen zu führen.Mit ihren sozialen Diensten wie Krankenhäusern funktioniert die Hamas inzwischen wie ein Staat im Staat. Im Gegensatz zur Al-Fatah, die eine nationalistische Ideologie verfolgt und nach der Gründung eines eigenen Staates strebt, agiert die Hamas auf einer stark religiös fundierten Ideologie. Trotzdem bekommt sie wenig Unterstützung durch die arabischen Länder. Aber auch die Aussage von Mahmut Abbas, „Das palästinensische Volk wird dieser Bewegung eine Antwort erteilen“, ist nicht viel mehr als eine politische Phrase.Gegenwärtig verwischen sich die Grenzen zwischen zivilem Leben und kriegerischen Situationen. Unser Verständnis von Staat und Nation reicht nicht mehr aus, um die Problematik, mit der wir es heute zu tun haben, zu verstehen. Die Frage, ob Israel mit seinen Aktionen in Gaza Erfolg haben wird, muss in einem anderen Kontext überdacht werden. Ebenso die Frage, ob die Hamas an Stärke gewinnt und es ihr gelingt, die Palästinenser mit Hilfe der Religion zu entzweien? Auch die Frage, was aus Mahmut Abbas wird, muss nun aus der Perspektive des Bürgerkrieges gestellt werden. Wie schon beim letzten Libanon-Krieg soll der Konflikt zwischen Israel und Palästina ganz offenbar über einen religiös motivierten Bürgerkrieg ausgehandelt werden.Der Unterschied zwischen öffentlichem und zivilem Recht verschwindetIn seiner Rechtsphilosophie betont Immanuel Kant, dass die Schaffung eines Rechtssystems an die Existenz eines (eigenen) Landes gebunden ist. Kant spricht von einer territorialen Macht. Dabei benutzte er eine interessante Definition. Er befürwortete die Idee der „zivilen Organisation“ beziehungsweise des zivilen „Widerstands“, wenn es um dieses Territorium geht. Mit anderen Worten, das eigentlich an die zivile Bevölkerung gebundene Recht kann auch zu einem Recht des Staates werden. Genau in dem Verschwinden des Unterschieds zwischen dem „öffentlichen“ und dem „zivilen“ beziehungsweise „privaten“ Recht befinden wir uns im Gaza-Konflikt.Die Hamas in Gaza versucht den Anschein zu erwecken, sie agiere über das öffentliche und nicht über das private Recht. Doch wenn man die klassischen privaten Rechte wie Heiraten oder eine Familie zu gründen, zum öffentlichen Recht deklariert, wie es die Hamas tut, stehen wir natürlich einer ganz anderen Situation gegenüber. Der „territoriale“ Aspekt hierbei ist, dass die Stadt Gaza sich als zivile Einheit zusammengeschlossen hat und der Hamas einen Wahlsieg beschert hat. Genauso müssen wir auch den „zivilen Krieg“ der Israelis gegenüber der Hamas und die Reaktionen auf die getötete zivile Bevölkerung als das Resultat der Anwendung eines nationalstaatlichen Rechtes ansehen.Man kann es auch noch komplizierter machen: Noch bevor die Nationalstaaten gegründet wurden, gab es im Mittelalter im Streit zwischen Staat und Papsttum die Begriffe potestas und auctoritas. Diese Spaltung gab dem Kaiser die „Macht“, dem Papst dagegen die „Autorität“. Übertragen auf die Situation in Palästina bedeutet dies, das die nationalistisch geprägte Al-Fatah und die religiös-fundamentalistisch orientierte Hamas sich nun über ihre jeweiligen territorialen Rechte streiten. Zum Schutz und zur Erhaltung seiner territorialen Gebiete bombardierte Israel die Hamas und startete eine Bodenoffensive. Ihm steht eine – religiöse - „Autorität“ namens Hamas gegenüber, die ihre „Macht“ aus einem eigenen Volk ableitet.Eine neue Phase in der KriegsentwicklungIn den Kriegen im Nahen Osten, die sich heute immer mehr in Bürgerkriege umwandeln, verweben sich zwei unterschiedliche Rechtssysteme ineinander. Auf der einen Seite steht das nationalstaatliche Epistem mit seinen territorialen Bewegungen, auf der anderen Seite die Bewegung jenseits des Nationalen: Bürgerkriege beziehungsweise zivile Kriege. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir gerade diese beiden Phasen durchqueren und auf eine ganz neue historische Phase in der Kriegsentwicklung zulaufen. Mit den alten Analysemethoden versteht man diese neue Art von Bürgerkriegen nicht mehr.Israel begründet seine Angriffe auf Ziele außerhalb seiner nationalstaatlichen Grenzen als Selbstschutz und lehnt sich dabei an den Begriff des „gerechten Krieges“ an. Die Palästinenser berufen sich auf den mittelalterlichen Begriff des „inneren Krieges“, was man heute mit Bürgerkrieg übersetzen würde. In dieser Sicht ist die Hamas nach israelischem Recht eine „Widerstandsgruppe“ oder Rebellenorganisation. Früher waren die konfligierenden Machthaber ebenbürtig. Und der „gerechte“ Kampf zwischen ihnen wurde als Krieg definiert. Piraten, Aufständige und Bandite wurden nicht für gleichberechtigt gehalten, Krieg wurde nur mit Souveränen Staaten geführt. Piraten, Aufständige und Bandite nicht für Gleichberechtigt gehalten, Krieg wurde nur mit Souveränen Staaten geführt. Aufständische galten nicht als „justi hostes“. In Gaza stehen sich beide Seiten nicht als Gleichberechtigte gegenüber: Dem Nationalstaat steht einem sich im Bürgerkrieg befindenden Volk mit ganz eigener Rechtsprechung gegenüber. Mit anderen Worten: Wir haben eine völlig neue Situation.