Staatschef Fernando Henrique Cardoso tritt nach dem Attentat forsch wie immer vor die Fernsehkameras und wiegelt ab - es bestehe keine Gefahr, dass Brasilien vom Terrorismus heimgesucht werde. Bestenfalls schlage derzeit das organisierte Verbrechen über die Stränge.
Dann jedoch hätte der jüngste spektukuläre Entführungsfall anders verlaufen müssen: Celso Daniel - populärer Spitzenpolitiker des Partido dos Trabalhadores (PT/Arbeiterpartei) - lässt sich in der Nacht vom 20. zum 21. Januar in Sao Paulo von einem Unternehmer in dessen schusssicherer Limousine nach Hause bringen. Unbekannte in drei Fahrzeugen folgen, eröffnen das Feuer, versperren den Weg. Doch anstatt sich bei der anschließenden Geiselnahme des betuchten Unternehmers zu be
nternehmers zu bemächtigen, lassen sie ihn ungeschoren und fahren mit Celso Daniel davon. Der wird in einem Wäldchen bestialisch gefoltert, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und danach mit einer Salve liquidiert. Eine erschütternde Nachricht für die an Sao Paulo grenzende Großstadt Santo André, die ihn vor gar nicht langer Zeit zum dritten Mal mit großer Mehrheit zum Bürgermeister gewählt hatte.Der Universitätsprofessor Daniel galt als versiertester Berater des bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2002 aussichtsreichen PT-Kandidaten Luis Inacio "Lula" da Silva, er schrieb dessen Regierungsprogramm. Spätestens seit der Istanbuler Habitat-II-Konferenz über menschliche Siedlungen (1997) besaß Daniel auch international einen vorzüglichen Ruf. Die UNO zeichnete sein Slum-Urbanisierungsprojekt aus, um es als beispielhaft für die Dritte Welt herauszustellen.Bei der Arbeiterpartei, die ihren wohl wichtigsten intellektuellen Kopf verloren hat, zögerte man anfangs, angesichts der sozialen Probleme des 160-Millionen-Staates die politische Gewalt zum Hauptthema der anstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen zu machen, nun aber bleibt keine andere Wahl, die Attentatswelle geht an die Substanz: Erst vor wenigen Monaten war Antonio da Costa Santos, PT-Bürgermeister der im Großraum Sao Paulo liegenden Millionenstadt Campinas erschossen worden. Zu der Tat hatte sich ein bislang unbekannter rechtsextremer Frente de Ação Revolucionaria Brasileira (FARB) bekannt, der den anderen 37 PT-Bürgermeistern der wichtigsten Industrieregion Lateinamerikas gleichfalls die Ermordung androht. Nach dem Eindruck brasilianischer Sicherheitsexperten geht der FARB kaum anders vor als vergleichbare Gruppierungen in Kolumbien oder Guatemala, die mit dem organisierten Verbrechen verschwägert sind. Amnesty International listete jüngst auf, dass in Brasilien seit 1997 16 PT-Politiker getötet wurden - nicht mitgerechnet Dutzende dem PT nahestehende Führer von Gewerkschaften und der Landlosenbewegung MST, die ebenfalls Terror von rechts zum Opfer fielen. In jener Nacht, als Daniel starb, schoss bei Sao Paulo ein Großagrarier dem zur MST-Führungsspitze zählenden José Rainha in den Rücken und verletzte ihn lebensgefährlich.Die Katholische Kirche spricht seit längerem vom "unerklärten Bürgerkrieg". Und Sao Paulos Erzbischof Claudio Hummes legte demonstrativ Wert darauf, für den Linken Celso Daniel die Totenmesse zu halten. Der auch in Deutschland wegen seiner Schriften bekannte Befreiungstheologe Frei Betto aus Sao Paulo geht davon aus, dass in Brasilien jährlich mehr als 40.000 Menschen ermordet werden - weit mehr als im Hexenkessel von Bogota oder im Nahen Osten. "Hinter den Anschlägen steht nicht nur ein nationaler, sondern ein internationaler Rechtsextremismus, der befürchtet, dass die Arbeiterpartei einmal die Regierung stellt". Das angesehene Blatt O Estado de Sao Paulo sieht im nach wie vor oligarchischen Brasilien sogar "Elite Serial Killer" am Werk und fragt: "Bilden zwischenzeitlich Narcomafia und Gangstersyndikate eine Art Parallelstaat?" Die Richterin Denise Frossard, wegen ihres unerschrockenen Umgangs mit dieser Klientel eine nationale Berühmtheit, bejaht dies nach dem Daniel-Attentat ausdrücklich. Jeder wisse es: Präsident Cardosos Mitte-Rechts-Kabinett toleriere, dass die auch mit deutschen Waffen ausgerüsteten, regional verflochtenen Milizen den rechtsfreien Raum an den Slumperipherien Sao Paulos oder Rio de Janeiros beherrschten. Der Ursprung dieser privaten Securitas liegt teils in paramilitärischen Verbänden, teils bei der Polizei selbst. Sie folgt der Philosophie, mit der Ausschaltung krimineller Elemente diene sie der Gesellschaft. Die Killerkommandos verhindern so auf perfide Weise, dass die Favelados auf die Idee kommen könnten, für ihre Bürgerrechte zu kämpfen. Der "Faktor Angst" - sind die Padres der Volkskirchen überzeugt - unterbinde jede Aktivität. Fehlendes Bewusstsein lähme ungemein. So gefalle es den Eliten.