Machtlose Europäer?

Nahost Wer denkt, die EU habe durch die Krise keine Perspektiven, hat die neue Geopolitik nicht verstanden
Ausgabe 02/2020
Auch Ursula von der Leyen dürfte in der Nahost-Krise neue Perspektiven für sich entdecken
Auch Ursula von der Leyen dürfte in der Nahost-Krise neue Perspektiven für sich entdecken

Foto: Kenzo Tribouillard/AFP/Getty Images

Der Nahe Osten droht in Flammen aufzugehen. Das gefährlichste Feuer hat US-Präsident Donald Trump gelegt – mit dem Mord an Qasem Soleimani und wilden Drohungen gegen Iran und Irak. Dass Trump sogar Kulturstätten in Iran zerbomben und die Wirtschaft im Irak zerstören will, bereitet selbst Transatlantikern Albträume.

Wer gehofft hatte, die EU werde nun von Trump abrücken, sieht sich getäuscht. Gewiss, in einigen Hauptstädten gab es Kritik an seinem „nicht hilfreichen“ Verhalten. Der neue EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wagte gar, über die „Tötung“ Soleimanis die Nase zu rümpfen. Doch eine klare Distanzierung gab es nicht. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollte nicht einmal den Verbalterror gegen Irans Kultur verurteilen. Es sei nicht ihre Aufgabe, zu bewerten, sondern zu vermitteln, so die Chefin der selbsterklärten „geopolitischen Kommission“. Damit beweist sie, dass sie nichts von Geopolitik versteht.

Denn wer sich als Akteur im Spiel der Mächte behaupten will, muss eine nüchterne Lagebewertung vornehmen – mit Blick auf die eigenen Interessen. Eine solche Analyse würde unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass sich die USA unter Trump im Nahen Osten von einer Ordnungsmacht zum Sicherheitsrisiko entwickelt haben. Der erste gefährliche Schritt war die Kündigung des Atomabkommens mit Iran – also jenes Deals, den die EU zum Eckstein ihrer Nahostpolitik und zum Dreh- und Angelpunkt ihrer nuklearen Sicherheit erklärt hatte. Der zweite Schritt war das Abrücken von der Zweistaatenlösung für Israel und Palästina, der dritte und womöglich fatalste Schritt der Mord an Soleimani.

Dieses Attentat kommt nicht nur einer Kriegserklärung an Iran gleich. Es ist auch ein Anschlag auf die europäische Politik im Nahen Osten. Die EU wollte mit Sanktionen gegen Soleimani und dessen Schattenkrieger vorgehen, um das Atomabkommen zu retten. Nun ist es zum Scheitern verurteilt, Trump am Ziel, und die EU steckt in der Falle.

Hat sie also gar keine Handlungsoption mehr? Muss sie gute Miene zum bösen Spiel machen, um wenigstens einen heißen Krieg gegen Iran zu verhindern und die Präsenz im Irak zu sichern? Das ist es, was von der Leyen und andere „Realpolitiker“ suggerieren. Sie reden von Diplomatie, haben sich insgeheim aber mit Trumps Brachialstil abgefunden. Mit europäischer Selbstbehauptung hat das wenig zu tun, umso mehr mit Resignation. Der nächste Schritt wären dann EU-Sanktionen gegen Iran, um einen Bruch des Atomabkommens zu bestrafen. Bundesaußenminister Heiko Maas redet schon davon. Danach wäre es nicht mehr weit zur Kapitulation. Iran würde als „Schurkenstaat“ gebrandmarkt und zum Abschuss freigegeben.

Die EU kann Trump und die Mullahs nicht aufhalten, sagen viele, außenpolitisch ist sie machtlos. Doch wer so redet, hat die neue Geopolitik nicht verstanden: Die Dinge sind in Bewegung gekommen, Trumps Fehler und die Doppelkrise in Irak und Iran ermöglichen neue Allianzen. Sogar der Irak will die USA im Weltsicherheitsrat verurteilen.

Die EU könnte sich das zunutze machen und sich „ein Stück weit“ emanzipieren, wie Angela Merkel zu sagen pflegt. Sie könnte den Schulterschluss mit Russland und China suchen, um das Atomabkommen mit Iran zu retten, wie Sigmar Gabriel fordert. Dazu braucht es jedoch Mut und eine wahrhaft „geopolitische Kommission“ in Brüssel. Auf von der Leyen darf man da kaum zählen.

Eric Bonse ist Journalist in Brüssel und Gründer des EU-Watchblogs lostineu.eu

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