Professor Dieter S. Lutz, Direktor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, über den fehlenden humanitären Auftrag bei der UN-Mission in Afghanistan sowie die Hierarchie zwischen UN- und US-Kommando
FREITAG: Liest man das UN-Mandat für die Peace-Making-Mission in Afghanistan, entsteht der Eindruck, das Militärkontingent hat eher den Charakter einer Leibgarde für Übergangspremier Karzai sowie eines Schutzkorps´ für Kabul - teilen Sie diesen Eindruck?
DIETER S. LUTZ: Nach der Resolution 1386 (2001) soll es Aufgabe dieser internationalen Truppe sein, die afghanische Interimsbehörde bei der Gewähr von Sicherheit in der Hauptstadt und deren Umgebung zu unterstützen. Insofern ist tatsächlich Ihr Eindruck nicht gänzlich unberechtigt. Er wird vermutlich auch durch die ausdrückliche Aufforderung in der Resolution bestärkt, der Interimsbehörde bei der Aufstellung neuer nationaler Sicherheits- und Streitkräfte behilflich zu sein. Doch gerade die Unterstützung oder Begleitung der so wichtigen humanitären Aktivitäten, die das Land dringend braucht - etwa der Bekämpfung des Hungers von Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Menschen - benennt die Resolution nicht.
Damit liegen offenbar auch die Interessen der ethnisch gefärbten Konfliktparteien im Lande wie der Wirkungsradius der Warlords außerhalb dessen, worauf das UN-Korps Einfluss nehmen soll ...
Entsprechendes sieht das Mandat nicht vor, das vorgesehene Kontingent wäre dazu auch nicht stark genug. Im Übrigen sollten nach der Vertreibung der Taleban die Streitigkeiten zwischen den ethnischen und religiösen Konfliktparteien auf dem Weg von Verhandlungen - in jedem Fall nicht-militärisch - beigelegt werden.
Wie bewerten sie die Parallelität von UN-Kontingent und US-Militärkorps in Afghanistan? Erleben wir den Versuch einer Koexistenz von Friedensmission und Kriegsführung?
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Ich halte das Bombardement der USA für unverhältnismäßig und für rechtlich und moralisch bedenklich. Der sogenannte Kolateralschaden soll sich mittlerweile auf Zehntausende von toten Zivilisten in Afghanistan belaufen, also weitaus höher sein als die Opferzahlen der barbarischen Terroranschläge in New York und Washington. Aber selbst wenn man diesen Vergleich nicht akzeptiert, das Recht der USA auf Selbstverteidigung kann nicht unbefristet fortwirken, gegebenenfalls sogar für andere Ziele benutzt werden. Schon längst hätte die UNO - wie es ihre Charta übrigens vorsieht - das militärische Geschehen an sich ziehen müssen. Spätestens Resolution 1386 wäre die Gelegenheit dazu gewesen - die angesprochene Parallelität dagegen ist der falsche Weg.
Werden Abstimmungen zwischen dem UN-Kommando und dem US-Kommando in Afghanistan nötig, sollen die USA das letzte Wort haben - heißt das praktisch, dieses UN-Kommando ist nicht souverän?
Bei aller Kritik darf man natürlich die Augen nicht davor verschließen, dass eine starke US-Präsenz immer auch einen Schutz für das relativ schwache UN-Korps bedeutet. Afghanistan ist und bleibt besonders für ausländische Truppen ungeheuer gefährlich ...
Um so wichtiger wäre doch ein einheitliches Kommando unter UN-Hoheit ...
Sicher, so haben es die USA in der Hand, zu eskalieren oder zu deeskalieren. Das heißt, die UN-Soldaten sind so lange souverän, wie die USA aus angeblich oder tatsächlich übergeordneten Gründen, das Kommando nicht an sich ziehen. Zwar hätte wiederum der Sicherheitsrat jederzeit das Recht, durch eine Resolution das Geschehen zu beeinflussen, doch das könnten die USA durch ihr Veto verhindern.
Wie bewerten Sie unter diesen Umständen den Einsatz der Bundeswehr?
Der Parlamentsbeschluss sieht als deren Einsatzgebiet Kabul und Umgebung vor. In weiteren Teilen Afghanistans darf das deutsche Kontingent über die Wahrnehmung des individuellen und kollektiven Selbstverteidigungsrechts und des Nothilferechts hinaus nur zur Eigensicherung sowie für Abstimmungsgespräche eingesetzt werden. Diese Beschränkung ist als Schutz für die Soldaten gedacht und daher angemessen und richtig.
In der Realität eines Landes, das noch immer bombardiert wird, also in einer jederzeit denkbaren Selbstverteidigungssituation, kann das jedoch rasch zu Makulatur werden. Ein Kanzler, der "uneingeschränkte Solidarität" verspricht, wird sich einem entsprechenden Ersuchen nicht entziehen können, vielleicht auch nicht wollen.
Betrachten Sie die UN-Mission in Kabul als Präzedenzfall für eine ähnliche Nachsorge in anderen Zielstaaten des Anti-Terror-Krieges?
Ich sehe vor allem die große Gefahr, dass die USA Nachahmer finden und an die Stelle der Stärke des Rechts immer mehr das Recht des Stärkeren tritt. Nahost und Kaschmir sind schon Beispiele dafür. Eine schwache UNO, weltweites Wettrüsten und noch mehr Kriege könnten leider unsere Zukunft prägen.
Bei der UN-Mission in Afghanistan spielen Großbritannien und Deutschland erkennbar die entscheidende Rolle. Wären Varianten mit Staaten aus islamischen Regionen denkbar und vor allem besser gewesen?
Grundsätzlich sollte sich jeder Staat im Rahmen des Kollektiven Sicherheitssystems der UNO einem Beistandsersuchen auch weltweit nicht entziehen. Im Falle Afghanistans waren allerdings andere Varianten als die jetzige Rollenverteilung von der dominanten Supermacht nicht gewünscht.
Nun sind bald 10.000 Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz. Welche Rolle spielt eigentlich noch die von der Bundesregierung bei ihrem Antritt einst versprochene nicht-militärische Konfliktregulierung?
Laut Koalitionsvertrag trat man ja unter dem Motto an: Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik. Bei einigen Vorstößen wie der jüngsten Afghanistan-Konferenz bei Bonn kam dieser zivile Ansatz dankenswerter Weise noch zum Vorschein. Die Gesamtschau der vergangenen Jahre lässt aber eine zunehmende Militarisierung der Außenpolitik befürchten. Deutschland ist mittlerweile aktiver Teil dieses Geschehens.
Das Gespräch führte Lutz Herden
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