Madame Europa

MEDIENTAGEBUCH "Kafka - Zeitschrift für Mitteleuropa" erscheint in Berlin

Natürlich Kafka und nicht Jánosík, schreibt etwas resigniert der slowakische Publizist Juraj Alner zum Namen der neuen Zeitschrift, der als vereinender Begriff für mitteleuropäischen Diskurs gewählt wurde. Der tschechisch-jüdische Prager Melancholiker der Moderne, Franz Kafka, der Deutsch schrieb, steht für Mitteleuropa und nicht der in der Slowakei und Polen verehrte Räuber Juraj Jánosík, ein Aktivist, der nicht sublimierte, sondern die Welt direkt verstand - den Reichen nahm und den Armen gab und dafür an einer Rippe aufgehängt wurde. Kafkaesk kommt Kafka - Zeitschrift für Mitteleuropa daher - intellektuell, sarkastisch, mal witzelnd, mal einfach traurig, mit abgesicherten Namen wie Mircea Dinescu, Slavenka Drakulic, György Konrad, Jens Reich, zwar klug, aber dafür wird niemand mehr gehängt.

Die Initianten sitzen in Berlin, sie wollen einen Dialog mit den nächsten EU-Anwärtern führen. Das ist lobenswert, zudem die Dialoge, die eigentlich Monologe sind, nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Polnisch, Tschechisch, Slowakisch und Ungarisch erscheinen. Der Weg nach Europa, das erste Themenheft dieser Vierteljahresschrift, herausgegeben vom Goethe-Institut/Inter Nationes erweist sich als eine Sammlung von zerbrochenen Utopien, eingerissenen Gefängniswänden, über die nicht mehr geklagt wird. Mit Distanznahme reflektiert man (zwölf Autoren sind männlich, nur zwei weiblich) die wunde und skurrile Vergangenheit der "Arbeiterstaaten", aus der die Vorstellung von Europa entwächst - als das, was sich hinter der eigenen Grenze ausbreitet.

Der Kommunismus als Gefängniswärter nährte die surrealen Träume vom jenseitigen Europa, die nun zerschellt sind. Der Weg nach Europa ist konkretes Teilhaben an dieser Art Transzendieren über sich selbst hinaus. Europa ist für Ostmitteleuropa nicht einfach Westeuropa, sondern die Sehnsucht, die westliche Seite mit allen Sinnen zu erfahren und von ihr unverzerrt wahrgenommen zu werden. Dass dazu das Geld und das Visum fehlen, darüber ist der rumänische Schriftsteller Dinescu erbittert, der Madame Europa als eine gebildete Greisin zu Zeiten des Stalinismus samt der rumänischen Kultur in den Straßengraben fallen und nun an ihre Stelle einen Jungunternehmer mit Dauer-Schengen-Visum auftreten sieht.

Die Kroatin Slavenka Drakulic, für die in den fünfziger Jahren Europa eine Puppe mit klimpernden Augen darstellte - zu schön, um mit ihr zu spielen -, fischt an ihrem jetzigen schwedischen Wohnort Fragmente der vertrauten balkanischen Welt heraus, Produkte, die sie am Markt findet und fügt sie mit jenen Kinderchimären zu einem Bild Europas zusammen wie nach einem Schiffbruch. Der Tscheche Jirí Kratochvíl verweigert die west-östliche Kommunikation, er gibt zu, dass er die geöffnete Grenze westwärts nie überschreitet, dass er, der sich stets synchron zum Regime bewegte, das heißt nicht bewegte, nun in seiner Bewegungslosigkeit anachronistisch wird. Und das ist auch das Problem des angelaufenen Projektes mit solchen Denkmal-Autoren. Wird es sich bewegen, oder um geistreich Formuliertes, aber Abgestandenes drehen?

Die zweite Nummer ist dem provokativen Begriff Heimat gewidmet, die dritte thematisiert Generationsbrüche. Von Heimat hinausgehen nach Europa und natürlich gehört dazu der Bruch. Es werden mehr Frauen zu Wort kommen und neue Namen. Wenn es gelingt, dass Kafka nicht zu dem Kafka wird, zu dem ihn das postsozialistische Prag gemacht hat - zum polierten Aushängeschild für Bildungstouristen, sondern die Dreistigkeit eines Jánosik wagt, könnte Madame Europa aus dem Graben emporsteigen, wenigstens auf diesem A 4-Glanzpapier.

Vorläufig erscheint Kafka kostenlos und ist zu bestellen bei: Inter Nationes, Kennedy-Allee 91-103, 53175 Bonn, kafka@inter-nationes.de

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