Kleine Kickerinnen In Kinderromanen sind Fußball spielende Mädchen mittlerweile Normalität - in Sachbüchern für Erwachsene dagegen ist das weibliche Geschlecht nicht vorhanden
Heutzutage akzeptieren Jungs nicht nur Kickerinnen, sie sind sogar auf sie angewiesen - zumindest in Büchern für LeseanfängerInnen. Jan Flieger etwa lässt in Elf Kicker im Fußballfieber (2002) ein Mädchen den entscheidenden Elfmeter schießen. In Christine Nöstlingers Fußballgeschichten vom Franz (2002) spielt der Zweitklässler Franz, nachdem er als zu "mickrig" aus dem Jungenteam ausgeschlossen wurde, bei einer Mädchenmannschaft mit. Noch in den neunziger Jahren war die Situation auf den literarischen Fußballplätzen komplizierter. In Manfred Mais Wir werden Meister! (1994) gelangen drei Mädchen nur durch Unterstützung des Trainers in die Viertklässlermannschaft und erst nach langen Auseinandersetzungen kommen d
Auseinandersetzungen kommen die Jungs tatsächlich mit ihnen klar. Doch auch die meisten Mädchen stehen Kickerinnen anfangs skeptisch gegenüber, deshalb stellt die spätere Spielmacherin klar: "Fußball ist überhaupt nicht grob, wie viele Mädchen meinen. Wenn man technisch gut ist, braucht man andere nicht umzurennen oder zu treten. Das machen nur die, die nicht so gut sind." Die leistungsstarke Kickerin setzt sich durch - gegen Vorurteile der Jungs, aber auch der Geschlechtsgenossinnen. Wird bei Mai das weibliche Eindringen in die männliche Sphäre noch durch die Autorität des väterlichen Trainers legitimiert, übernimmt in Jo Pestums Tobi und die rosa Teufel (1992-1998) die ältere Schwester des Grundschultorwarts die Rolle der Vorkämpferin für die Gleichberechtigung der Spielerinnen. Während sie das Konditionstraining und das Ernährungsprogramm (Müsli, Reis, Rohkost, Vollkornbrot) leitet, ist der große Bruder eines Mitspielers für Spieltraining und Taktik zuständig - zugegebenermaßen keine gleichberechtigte Arbeitsverteilung, aber für damalige Fußballverhältnisse schon recht beachtlich. Der Gleichstand der Geschlechter wird in 1:1 für Tscho (1998) von Christoph Mauz erreicht. Die fußballbegeisterte Mutter, eine agile Elektrikerin, überredet ihren Mann, einen Buchhändler mit Bauchansatz, das Training der Jungenmannschaft zu übernehmen. Trotz massiver Leistungssteigerungen erreicht das Team aber gegen eine von der Mutter trainierte Mädchenmannschaft nur ein Unentschieden. Für Siege benötigen heute - zumindest in der Literatur - auch von Jungen dominierte Mannschaften Spielerinnen der Extraklasse, wie ein minderjähriger Manager feststellt: "Eine Art weiblicher Ronaldo. Ein Ballgefühl, einen Antritt, in mir macht sich eine immer größere Glückseligkeit breit. Das ist schöner, besser, abgefahrener als in meinen kühnsten Träumen. Wenn dieser Ballengel auf dem Platz aufläuft, dann fällt jedem Gegenspieler die Klappe runter und er glaubt, er hat eine Erscheinung. Ich kann´s kaum fassen: Ich habe eine Sturmspitze!" (Thomas Fuchs, Die Profikicker, 2002). Perfekte weibliche Mimikry findet also durchaus Anerkennung bei den Jungs. Früher waren die Geschlechterrollen auf den literarischen Fußballfeldern starr: Jungs stürmten, Väter feuerten an, Mädchen waren beeindruckt und Mütter besorgt. Der Oldie auf dem Platz ist Sammy Drechsels Elf Freunde müsst ihr sein. Dieser 1955 erschienene, bis heute lieferbare Roman des legendären Sportjournalisten und Kabarettisten prägt viele Fußballgeschichten bis heute. Die Jungenmannschaft wird nach vielen Problemen Meister und der bescheidene, absolut faire Held bekommt einen Ausbildungsplatz. Die Moral: Nur wer den einfachen Fußballwegen abschwört, stattdessen Entbehrungen auf sich nimmt, Gefahren überwindet und einen reinen Charakter hat, erweist sich als ein wahrer Fußballer und wird reich belohnt. Kontakte mit Mädchen lenken da nur ab! Doch bei den etwa 50 derzeit lieferbaren Kinder- und Jugendromanen rund um den Fußball sind Boys-only-Bücher mittlerweile die Ausnahme. Fast überall kicken Mädchen als Minderheit mit und werden auch akzeptiert, wenn erst einmal die durch mental zurückgebliebene Jungs verursachten Anlaufschwierigkeiten überwunden sind. Am Spiel selbst ändert der weibliche Einfluss wenig. Gespielt wird um den Sieg, die Besseren gewinnen, die Verlierer sind spielerisch schlechter, dazu meist unfair. Auch das Hauptthema der Romane - der Zusammenhalt der Mannschaft ist wichtiger als fußballerische Egotrips - wird durch mitkickende Mädchen nicht beeinflusst. Verhalten sich Fußball spielende Mädchen wie faire Jungs, steht ihrem Aufstieg nur noch mangelndes Können im Wege. Trotz dieser Verbeugung vor Mädchen auf dem Fußballfeld richten sich Fußballromane aber weiterhin in erster Linie an Jungs, Girls-only-Fußballromane gibt es (noch) nicht. Hauptzielgruppe sind wie gehabt Jungen vor oder am Beginn der Pubertät. Für Zwölfjährige und Ältere erscheint kaum etwas - anscheinend lesen jugendliche Kicker keine Romane. Geschrieben werden die Kinderromane meist von männlichen Fußballliebhabern. Jo Pestum etwa bezeichnet sich in seiner Kurzbiographie als "von klein auf ein Fußballfan", Christoph Mauz sieht sich als "Tormannwunder". Die weibliche Entsprechung der Fußballromane sind Pferdebücher. Überwiegend verfasst von Schriftstellerinnen, kümmern sich hier Mädchen bis etwa zwölf Jahre aufopfernd um Pferde, Jungs tauchen in dieser präpubertären Mädchenwelt zwar auf, aber das wars dann meist auch schon. Verlässt man die kindliche Romanwelt und untersucht ein realitätsnäheres Genre, wird deutlich, dass es mit der Gleichberechtigung auf dem Fußballfeld nicht so weit her ist, denn Frauen- oder Mädchenfußball spielen in den derzeit rund 15 lieferbaren Sachbüchern nur eine sehr untergeordnete Rolle. Hauptthemen sind etwa in Gary Linekers Fußball (2000) oder Christoph Bausenweins Fußballbuch (2002) Technik, Taktik und Regeln. Der Rest sind Fanbuch (bekannte Spieler und Teams), Kuriositäten (die höchste Niederlage, der älteste Profi) und Statistiken (Torlisten, Meisterschaften). Illustriert werden die meist großformatigen Bände mit Fotos von muskulösen Männerbeinen und ekstatisch jubelnden Männern, die offen ihre Gefühle zeigen und je nach Spielausgang lachen oder weinen, zuweilen auch beides. Dazu kommen Fotos von ernst blickenden Mannschaften, meist gruppiert um einen Pokalträger. Fußball spielende Frauen sind in den Sachbüchern Randfiguren zwischen historischer Kuriosität (in den zwanziger Jahren) und schulterklopfender männlicher Aufgeschlossenheit (heute). Auf die tatsächlichen Probleme des Frauenfußballs - Desinteresse der Medien, fehlende Professionalität, marginale Mitsprache in den Vereinen und Verbänden - gehen die Bücher nicht ein. Der einzig derzeit lieferbare Titel für Erwachsene zum Thema - Beate Fechtigs Frauen und Fußball - erschien bereits 1995 und erlebte keine Nachauflage. Die 630.000 Frauen und 212.000 Mädchen, die 2001 Mitglied im Deutschen Fußballbund waren (von insgesamt 6.3 Millionen), kaufen also offensichtlich keine Frauenfußballbücher. Was könnte den eklatanten Unterschied zwischen emanzipierten Kinderromanen und männerzentrierten Sachbüchern erklären? Zum einen beschäftigen sich zwar beide Genres mit Fußball, aber doch mit unterschiedlichen Varianten: in Romanen wird die Welt kickender Kinder beschrieben, in der es auch in der Realität eine Minderheit von Mädchen gibt, dagegen in Sachbüchern die Männerwelt des Profifußballs (lediglich in den USA hat es der Frauenfußball bisher zu einer Profiliga gebracht). Zum anderen werden Fußballromane in der Grundschule auch als Klassenlektüre verwendet, meist eingesetzt von Lehrerinnen, die zwar einerseits den oft leseresistenten Jungen inhaltlich entgegen kommen, aber andererseits auch die Mädchen berücksichtigt sehen wollen. Verlage haben ein kaum zu unterschätzendes Interesse, dass die Wünsche dieser Großabnehmerinnen von ihren Autoren berücksichtigt werden. Vor allem aber wenden sich Sachbücher meist an eine etwas ältere Zielgruppe: Die zwölf- bis vierzehnjährigen Jungen sehen Fußball wohl als reines Männerspiel an, zumindest unterstellen das offenkundig die ausschließlich männlichen Sachbuchautoren. Und damit haben sie wohl auch Recht, denn während die DFB-Landesverbände meist bis zwölf Jahre gemischte Teams zulassen, spielen Ältere nach Geschlechtern getrennt, wobei der Mädchenfußball aber bei aller hinzu gewonnener Akzeptanz immer noch im Schatten des Jungenfußballs steht.
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