Made in Japan

Kommentar Tokios Traum von der eigenen Bombe

Als Anfang April der Vorsitzende der oppositionellen Liberalen Partei, Ichiro Ozawa, lauthals verkündete, Japan könnte sich über Nacht Nuklearwaffen zulegen, sollte China auch weiterhin so massiv wie bisher aufrüsten, sahen viele Beobachter darin nicht mehr als sensationslüsternes Gerede von einem politischen Außenseiter. Wie klang es wohl in den Ohren dieser Beobachter, als Anfang Juni einer der engsten Berater des japanischen Ministerpräsidenten, Chefkabinettsekretär Yasuo Fukuda, in einem informellen Pressegespräch Zweifel daran hegte, ob der Besitz von Atombomben und ballistischen Raketen gegen geltendes japanisches Recht verstoße. Unerhört, mokierten sich Politiker von ganz links bis ganz rechts: Mit seiner Äußerung rüttele Fukuda an einer Grundfeste japanischer Nachkriegspolitik: den sogenannten drei nicht-nuklearen Prinzipien - keine Produktion, kein Besitz, keine Lagerung von A-Waffen auf japanischem Territorium - ultimativer Ausdruck der "nuklearen Allergie" des japanischen Volkes nach Hiroshima und Nagasaki.
Als ob sich Japans Polit-Establishment jemals um diese Prinzipien geschert hätte! Kein geringerer als ihr geistiger Vater, Japans Premier Eisaku Sato, billigte in streng geheimen Verhandlungen Ende der sechziger Jahre den USA faktisch das Recht zu, in "Krisenzeiten" Atomwaffen auf japanischem Territorium dislozieren zu dürfen. Bis weit in die Neunziger hinein machte Washington von dieser Möglichkeit ausgiebig Gebrauch.
Japans politische Führungsriege mag in der Vergangenheit an vielem gelitten haben - nicht jedoch an "nuklearer Allergie": Schon nach 1960 sah eine von Premier Sato in Auftrag gegebene Geheimstudie einzig hohe Kosten als Grund dafür an, warum Japan keine Nuklearwaffen herstellen sollte. Gleichwohl schuf Tokio seit den siebziger Jahren mit der intensiven Förderung eines auf Plutoniumbasis arbeitenden zivilen Nuklearprogramms sowie mit einem umfassenden Plan zur Erforschung des Weltraums alle Voraussetzungen für die Produktion eigener Atomwaffen und entsprechender Trägermittel.
Nicht für sein Pro-Nuke-Outing ist Fukuda somit zu kritisieren: Angesichts der traditionellen nuklearpolitischen Heuchelei Tokios bedeutet es einen erheblichen Schritt hin zu größerer Offenheit und damit effektiveren Formen des politischen Diskurses in und über Japan.
Einwände lassen sich jedoch gegen den Zeitpunkt des Outings hervorbringen: Nachdem Washington mit seiner Nuclear Posture Review sowie Delhi und Islamabad mit ihrer nuklearen Kraftmeierei das geltende NPT-Regime bereits erheblich beschädigten, müsste es eher das Anliegen von Tokio sein, intensiver denn je darüber nachzudenken, wie sich das potente Japan für mehr Sicherheit auf unserem Planeten einsetzen kann: durch borniertes Klonen fataler militärischer Technologie oder durch vermehrte Anstrengungen bei der Neudefinition des Militärischen im Kontext globaler Krisentransformation.

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