Musik Jay-Z hat nach vier Jahren ein neues Album produziert. Die Auseinandersetzung damit beschränkt sich auf Fakten, Fakten, Fakten. Oder was man eben dafür hält
Ob Privatblog, Musikmagazin, Tages- und Wochenzeitung, Facebook oder Twitter – in den Newsstreams und Artikeln zu Jay-Zs neuem Album Magna Carta Holy Grail werden gebetsmühlenartig die immerselben Zahlen und, nun ja, Fakten zu einem matt schimmernden Kettchen Kunsthandwerk aus gegoogeltem Fachwissen aufgereiht. Man kennt das auch von anderen vermeintlichen Großereignissen wie dem Erscheinen eines neuen Albums von Lady Gaga oder Kanye West. Als sei PR- Journalismus über Nacht irgendwie sexy geworden. In Zeiten einer sich umbauenden Musikindustrie liegt die Zukunft anscheinend nicht in der Auseinandersetzung mit Künstlern und ihrer Musik, sondern in den Fakten, Fakten, Fakten. Oder was man eben dafür hält.
In diesem Fall: Jay-Z – bürgerlich Shawn
#252;rgerlich Shawn Carter – hat nach vier Jahren ein neues Album, sagen wir mal, produziert. Nummer 12. Eine Million Downloads hat er vorab an Samsung verkauft, angeblich zu einem Stückpreis von 5 Dollar. Besitzer bestimmter Samsung-Galaxy-Smartphones konnten sich vier Tage vor dem eigentlichen Veröffentlichungstermin – am 4. Juli, Independence Day – eine Gratis-App herunterladen, die Magna Carta Holy Grail und exklusiven "Content" drumherum enthält. Insgesamt soll der Deal sich in einem Rahmen von 20 bis 30 Millionen Dollar bewegen.Großes MunkelnMan munkelt, 7,5 Millionen fließen direkt in Herrn Carters Brieftasche. Ein gar winziger Bruchteil des jährlichen Marketingbudgets des südkoreanischen Konzerns. Nun sammelt die böse App, bevor sie den Heiligen Gral freigibt, wohl auch noch umfassend Kundendaten, so der Nutzer denn zustimmt. Bislang existieren keine öffentlichen Daten, wie viele Apps tatsächlich heruntergeladen wurden. Klar ist aber, dass Jay-Zs neues Album schon vor dem offiziellen Verkaufsstart Platinstatus erreicht hat, obgleich die Downloads keinen Einfluss auf die Platzierung in der Hitparade haben. So weit, so dingens.Dass wir uns nicht falsch verstehen, die Beschäftigung mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Musikindustrie ist in vielen Fällen, HipHop gehört unbedingt dazu, ebenso nötig wie spannend. Doch erschöpft sich dies meines Erachtens nicht in der kontextfreien Aufzählung einiger Zahlen, um schließlich, mal früher, mal später, zu dem Urteil zu gelangen, Jay-Z habe schon aufregendere Musik gemacht. Was aber letztlich egal sei, er hänge ja immerhin mit dem Präsidenten rum und sei mit Gattin Beyoncé auch mal für eine Ministaatskrise gut, weil der Urlaub auf Kuba eher unglücklich getimt war. Oder auch nicht, je nach Perspektive. Als Marke seiner selbst habe er einen lukrativen, gänzlich neuartigen Deal mit einer anderen Marke eingetütet, der mindestens die Zukunft der Musikindustrie besiegeln wird.Der erwähnte Deal mag eine neue Dimension und Qualität angenommen haben, die Idee an sich ist es allerdings nicht. Die Marke Musiker kooperiert nicht erst seit gestern mit Autobauern, Modelabels oder Getränkeherstellern. Die Älteren unter uns mögen sich an Mario Lanzas Radioshow für Coca-Cola erinnern oder fahren morgens noch mit dem VW Golf Rolling Stones ins Büro. Nun handelt es sich hierbei sicher um Marketingstrategien des vergangenen Jahrhunderts, Lanza, Stones und Co. sind gewissermaßen Markenbotschafter a. D. Auf der Suche nach neuen Formen der Distribution von Musik – und darum geht es heute vornehmlich – war man damals sicher nur bedingt. Bleibt man im HipHop, gab es schon 1986 für gute Kunden zu einem Paar erstandener Adidas-Schuhe Run DMCs subtil betitelte Vinyl-Single „My Adidas“. Überhaupt hatte HipHop nur in Ausnahmefällen Berührungsängste mit dem großen Geschäft – eine Stärke und Schwäche zugleich. Wo sogenannte und selbst ernannte Indie-Kulturen eher mit der integren Anhäufung kulturellen Kapitals beschäftigt waren und sind, ging es im HipHop tendenziell um „echtes“ Kapital in Form von Geld, Schmuck, Immobilien, Autos.Kulturelles Kapital muss man sich leisten können. Wirft man einen flüchtigen Blick auf die Marcy Houses in Queensbridge/Brooklyn, eines jener für New York typischen sozialen Wohnbauprojekte, wird schnell klar, dass der junge Shawn Carter seinen Tag eher nicht mit Klavierunterricht, der Lektüre von William Burroughs und Privatscreenings französischer Arthouse-Filme der späten Sechziger verbracht haben wird. Wer in den späten Achtzigern oder Anfang der Neunziger Zeit in solchen Social Housing Projects verbracht oder sich damit auseinandergesetzt hat, wird zwar die große Erzählung – von Block Partys über Partykeller und Basketballplätze bis hin zu Crack und all seinen Begleiterscheinungen – verstehen. Doch trotz der später sozusagen als ganz eigenes kulturelles Kapital nachgereichten Romantizismen vieler Künstler über die Orte ihrer Kindheit und Jugend wollten die meisten von ihnen einfach raus. Hin zu den unterschiedlichen Sehnsuchtsorten, die Hollywood, Fernsehen und Erzählungen derer, die „es“ geschafft haben, pausenlos produzieren: sei es ein Apartment in Manhattan, Party downtown, die Villa in der Karibik oder einfach das gute, stressfreie Leben ohne den täglichen Hustle der Projects. Vollgepisste Aufzüge sind höchstens für dämliche Sozialromantik gut.Schampus und SkepsisDer junge Shawn Carter hatte nicht nur ein Händchen und Köpfchen für Reime, davon kann man sich in seinem 2010 erschienenen Buch Decoded überzeugen. Er hat auch schnell erkannt, dass die Sache mit der Dealerei für nicht wenige in seinem Umfeld Knast oder Tod bedeutete. Darüber zu erzählen, schien ungefährlicher und lukrativer zu sein. Schaut man sich Magna Carta Holy Grail etwas genauer an, wird schnell klar, dass da einer zwar auf der Businessebene extrem beweglich ist und ständig neue Wege zu gehen sucht. Inhaltlich bleibt der Schuster aber bei seinem Leisten, und das eigentlich seit Anbeginn seiner Karriere. Erfolg, Luxus, Party, sportliche Selbstüberhöhung, bisschen unflätig Daherreden, Liebesbekundungen, Familie, immer wieder Schampus und Autos. Aber eben auch: Skepsis gegenüber Autoritäten, Seitenhiebe auf das weiße Amerika und das Establishment, denen er es immer noch zeigen muss und will. Ein Haus in den Hamptons heißt eben nicht zwangsläufig, dass man „dazugehört“.Das alles wie gewohnt handwerklich souverän geklöppelt und souverän vorgetragen. Jede Menge Wortspiel, Puns, doppelte Bedeutungsböden. Und nicht ohne Humor Nirvana verwurstet (nicht gesampelt, wie gerne postuliert):„And we all just entertainers/And we’re stupid and contagious/No we’re all just entertainers.“
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